: Vertuschen, verschleiern, verzehren
■ Die britische Regierung hat schon seit Jahren Informationen verheimlicht und Journalisten wie Wissenschaftler abgewimmelt
Nur zugeben, was sich nicht vermeiden läßt – das ist die Devise der britischen Regierung, seit der erste BSE-Fall 1986 aufgetreten ist. Wie sich jetzt herausgestellt hat, steckte die EU-Kommission bei der Verharmlosungspolitik mit London unter einer Decke.
Ein Sonderausschuß unter dem damaligen Landwirtschaftsminister John Gummer kam bei der Sitzung am 10. November 1988 zu dem Entschluß, nicht nur die Fütterung von Fleischmehl an Wiederkäuer zu verbieten, während der Export munter weiterging, sondern auch die Milch von „verdächtigen Tieren“ zu vernichten. Sprach man Regierungsbeamte wie den Chefveterinär Keith Meldrum darauf an, so stritt er jedes Risiko beim Verzehr britischer Rinder rundweg ab.
Auf derselben Sitzung 1988 zog der Ausschuß in Erwägung, daß die Anfälligkeit für die Krankheit „vom Genotyp des Wirtstieres“ abhängen könnte, wie es in dem Protokoll heißt. Mit anderen Worten: Schon damals vermuteten die von der Regierung bezahlten Wissenschaftler, daß der Erreger sich verändern könnte, wenn er die Artenbarriere überspringt. „Wegen der sehr langen Inkubationszeit beim Menschen kann es ein Jahrzehnt oder länger dauern, bis völlige Entwarnung gegeben werden kann“, heißt es in dem Protokoll.
Unabhängige Wissenschaftler, die dasselbe behaupteten, wurden lächerlich gemacht, wie der Mikrobiologe Richard Lacey aus Leeds, der schon Anfang der neunziger Jahre gewarnt hat, daß sich BSE von der Kuh auf das ungeborene Kalb und durch Exkremente auf der Weide übertrage. Beides hat sich inzwischen bestätigt.
Bereits im Juni 1990 hatte der Mikrobiologe Dr. Harash Narang aus Newcastle ein Memorandum an den Landwirtschaftsausschuß des Unterhauses geschickt. Darin warnte er, daß es für den BSE-Erreger keine Artenbarriere gebe. Deshalb könnten sich auch Menschen infizieren. Narang führte zwei von ihm untersuchte Fälle an, die darauf hindeuteten, daß sich eine neue Form der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit (CJK) gebildet habe, die jüngere Menschen befalle. Außerdem prophezeite er, daß die Seuche nicht durch das Fütterungsverbot allein zu besiegen sei, und wies auf den von ihm entwickelten Schnelltest für BSE und CJK hin.
„Damals hat man mich ignoriert“, sagte Narang gestern zur taz, „doch sechs Jahre später, im vergangenen März, mußte die Regierung zugeben, daß ich mit drei meiner vier Thesen richtiglag. Lediglich die Gültigkeit meines Schnelltests bleibt noch nachzuweisen.“ Das hat die Regierung bisher zu verhindern gewußt, weil ein solcher Schnelltest für sie teuer geworden wäre: Man hätte infizierte Tiere, die noch keine klinischen Symptome zeigten, töten müssen, statt sie zum Verzehr zu verkaufen. Im Herbst 1990 wurde Narang aus fadenscheinigen Gründen vom Dienst suspendiert, 1994 schließlich entlassen.
Fortan ging er mit seinem Schnelltest am toten Tier, den er 1987 entwickelt hatte, und dem 1994 entdeckten Urintest am lebenden Tier hausieren, stieß jedoch überall auf verschlossene Türen. Auch Professor Heino Diringer vom Robert-Koch-Institut in Berlin wimmelte den lästigen Wissenschaftler immer wieder ab. Nachdem er Narangs zweimaliges Angebot einer Testdemonstration sechs Wochen unbeantwortet ließ, verlangte er im vergangenen Februar, Narang solle erst mal nach Berlin kommen und einen Vortrag halten – auf eigene Kosten. „Es hängt vom Ergebnis der Vorlesung ab, ob wir das vorgeschlagene Hamster-Experiment machen“, heißt es in dem Brief. Narang erklärte sich einverstanden. Am 2. Mai antwortete Diringers Kollege Dr. Simon: „Dr. Diringer bat mich, den Brief vom 12. April zu beantworten, weil er zur Zeit mit der BSE-Geschichte zu beschäftigt ist.“ Narang solle doch „nach Ende Juli“ noch mal nachfragen.
Merkwürdig. Im Februar-Brief hatte Diringer noch behauptet, er könne kein „BSE- oder CJK-Material zur Verfügung stellen, weil wir mit diesen Krankheiten nicht arbeiten“. Statt dessen bot er „oral infizierte Hamster“ an. Hamster? Das seien die einzigen Säugetiere, die sich in Laborversuchen als immun gegen eine BSE-Übertragung erwiesen hätten, behauptete der Chefveterinär der Regierung, Keith Meldrum, in einem taz-Interview Ende vergangenen Jahres. Drei Jahre zuvor hatte mir der Chefdesinformator einen „unabhängigen Experten im Interesse einer ausgewogenen Berichterstattung“ ans Herz gelegt: Dr. Richard Kimberlin von der neuropathogenetischen Einheit in Edinburgh.
Der Anruf beim Wissenschaftler löste ein Mißverständnis aus: Er hielt mich für einen Mitarbeiter Meldrums. Kimberlin versprach, die taz „mit ein paar Informationen zu füttern, die in unserem Interesse sind“. Das Wichtigste sei, Lacey und Narang loszuwerden. „Das wollen wir doch alle“, fügte er lachend hinzu. Offenbar sprach er damals nicht nur für die britische Regierung, sondern auch für die EU-Kommission. Ralf Sotscheck, Dublin
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