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Versimpelung an sich komplexer Zusammenhänge

■ betr.: Leserbrief: „Die PDS“ (eine Programmatikkritik), taz vom 22.7.94

Späker versucht eine radikalisierte Simplifizierung aller gesellschaftlichen und globalen Probleme, indem er ein zunächst überzeugendes Kausalitätsverhältnis unterstellt. Nach ihm sind es immer „konkrete einzelne Menschen“, die jede auftretende Katastrophe verursachen. So zwingend dieser Schnellschluß auch erscheinen mag, ist er doch das Resultat eines falschen, unlogischen Denkens. Dessen Konkretismus glaubt vor zwei Fehlern bewahren zu können, die das Programm der PDS durchwalten: vor Abstraktionen und der dadurch bedingten Flucht vor Verantwortung. [...] Mit einem bloßen Kunstgriff schafft der Kritiker die Herrschaftsverhältnisse, welche nach Meinung des PDS- Programms immer noch kapitalistische sind, aus seiner Welt. Er verkleinert die komplexen Zusammenhänge auf das Augenmaß zweier Westerngunfighters, wenn sie sich im Duell gegenüberstehen. Für sie gilt in diesem Moment nur dieser andere Mensch, sonst nichts.

Genau hierin besteht diese radikale Form der Versimpelung an sich komplexer Sachverhalte. Diese natürlich infantilisierte Form von Realitätsreduktion bestimmt gleichwohl das Apperzeptionsvermögen so mancher „alternativen“ Weltsicht. Die Perspektive des Tertium non datur ignoriert mit einer erstaunlichen Naivität, daß ich nur für diese meine Handlungen verantwortlich sein kann, deren konstitutiven Bedingungen und Folgen ich auch zumindest in einem nachvollziehbaren Maße kenne und einschätzen kann. Welt ist geradezu die Verinbegrifflichung dafür, daß Situationen, für die das gilt, außerordentlich begrenzt sind. Gerade hier versagt das Rezept des Kritikers aller Abstraktionen. Sein Lösungsvorschlag: abstrahieren! Und so versteigt er sich zu dieser Formulierung: „Ich behaupte, daß nur wir Menschen verantwortlich sind für die Folgen unseres Handelns...“ Ein besseres Beispiel für eine Abstraktion, hinter der sich alle hausgemachten und deswegen zuortbaren Katastrophen verstecken können, als diesen Kollektivsingular „wir“, gibt es nicht. [...] Edmund Friedrich, Hamburg

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