Verräterische US-Atompolitik : KOMMENTAR VON SVEN HANSEN
Das Atomabkommen zwischen Indien und den USA hat es in sich. Nicht nur, dass die Amerikaner damit letztlich neben Israel eine weitere Atommacht außerhalb des Kernwaffensperrvertrags anerkennt – Präsident Bush will ihr künftig sogar Atomtechnologie und -brennstoff liefern.
Dabei hatte Washington erst 1998 wegen der indischen Atomtests seine Sanktionen gegen Delhi verschärft. Jetzt wird das amerikanisch-indische Abkommen dazu führen, dass Iran und Nordkorea die US-Kritik an den dortigen Atomprogrammen für pure Heuchelei und die US-Drohungen für reine Machtpolitik halten werden. Teheran und Pjöngjang werden den Schluss ziehen, dass, wenn sie durch ihre trickreiche Politik zu Atomwaffen gelangen, Washington wie im Fall Indiens nicht umhinkommen wird, diese Realität zu akzeptieren.
Das ist die gefährliche Botschaft der gestrigen Einigung: Sie schwächt das internationale Nichtverbreitungsregime weiter. Das leidet ohnehin schon daran, dass die offiziell anerkannten Atommächte ihrer Verpflichtung zur Abschaffung ihrer eigenen Atomwaffen nie nachzukommen gedachten – was die Atomwaffenambitionen anderer Staaten nur stärkte.
Die US-Regierung wird bemüht sein, auf die Unterschiede zwischen Indien und Iran sowie Nordkorea zu verweisen. Indien ist die größte Demokratie der Welt und frönt keiner aggressiven Rhetorik, und Indiens Atomdoktrin beinhaltet allein den Zweitschlag. Zudem hat sich das Land bisher in Fragen der Weitergabe sehr verantwortungsvoll verhalten – im Unterschied zu Pakistan, das vielleicht bald ein vergleichbares Abkommen verlangen wird.
Doch ist Indien, abgesehen von seinem attraktiven Wirtschaftspotenzial, auch ein strategischer Partner für die USA, vielleicht als asiatisches Gegengewicht zu China. Beim neuen Abkommen geht es vor allem um die US-Machtpolitik für die Welt von morgen. George W. Bush, der im Präsidentschaftswahlkampf 2000 nicht einmal wusste, wer indischer Ministerpräsident ist und erstmals in seinem Leben überhaupt nach Indien reiste, ist jetzt im 21. Jahrhundert angekommen.
Bedauerlicherweise mit hohen politischen Kosten.