Verpassen! : Gegen Motorradrocker, gegen Maultaschen
„Ein Geschenk des Himmels“, 20.15 Uhr, ARD
Der Trend zum Konservativen und die Rückbewegung von Teilen der säkularisierten, aufgeklärten Gesellschaft in Richtung Religiosität ist grade in diesen Tagen ein relevantes Untersuchungsgebiet. So gesehen ist die Grundidee von „Ein Geschenk des Himmels“ spannend: Da ist dieser familien- und andere wertefreie Heide aus der Kapitalismuskathedrale Frankfurt/Main. Walter Sittler mimt einen (Binokel-)Spieler namens Jonny, blank, zynisch und just gefeuert, weil er es mit der Frau seines Chefs getrieben hat. Kurz: Ein völlig akzeptables und respektables Leben unter Rot-Grün. Auch der Tod seiner Mutter vor „ein oder zwei Monaten“ berührt den Jonny zunächst nicht.
Aber dann konfrontiert ihn der Versuch, sein Erbe zu retten, mit jenem tiefreligiösen kleinstädtisch-schwäbischen Soziotop, in dem die Mutter das Zeitliche segnete. Im Mutterhaus lebt eine gottesfürchtige junge Witwe. Die ist drauf und dran, einen noch gottesfürchtigeren Langweiler namens Peter „Pederle“ Pfefferle zu heiraten. Was den viertelwüchsigen Sohn der Witwe („Mama, heiße ich dann auch Pfefferle?“) in den Widerstand treibt.
Naja, nach 40 Minuten intensiviert Pederle die Gebete und es argwöhnt auch die Freundin der Witwe, dass da Gefühle pro Jonny entstehen. Nach 70 Minuten lässt die Witwe zum ersten Mal das Haar herunter, nach 73 treibt man es. Danach betet die Witwe.
Und das ist noch längst nicht das Verblüffendste, was sich Marcus Hertneck (Drehbuch) da ausgedacht hat. Manche werden Ironie vermuten. Aber: Wogegen richtet sie sich? Gegen Heiden, gegen Christen, gegen Schwaben, gegen die große, böse Stadt, gegen die kleine, böse Stadt, gegen Motorradrocker, gegen Maultaschen? Aber jetzt kommt das Schlimmste für einen Fernsehfilm: Es ist auch nicht unterhaltend. Und der derzeitige Konsensschauspieler Walter Sittler („Girlfriends“ usw.) ist nicht mehr als eine Slapstickfigur, der man weder den Saulus (trägt immer Sonnenbrille) abnimmt, noch seine geistig-moralische Wende (nimmt Sonnenbrille ab). Am Ende gibt es dann den schlechtesten Filmkuss des Jahres. Man kann fast nicht umhin, das als Metapher für das Ganze zu sehen. PETER UNFRIED