Verhandlungsforscher über Bahnstreit: "Wie Laienschauspieler"
Das Verhalten der Bahn und der Lokführer-Gewerkschaft im Tarifkonflikt ist dilletantisch, kritisiert der Verhandlungsforscher Markus Voeth.
Herr Professor Voeth, was ist bei den Verhandlungen im Bahnkonflikt schief gelaufen?
Markus Voeth: Der allergrößte Fehler von der Bahn und der Gewerkschaft war es, den Konflikt so früh öffentlich auszutragen. Beide Seiten haben sich wie Laienschauspieler verhalten, als sie schon zu Beginn versuchten, die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Die Verhandlungsforschung lehrt uns aber, dass es keinen Kompromiss gibt, wenn einer Seite droht, dass sie ihr Gesicht verliert. In diesem Fall haben beide Seiten dazu beigetragen, dass sich die jeweils andere keinen Millimeter von ihrer Position bewegte. Tragfähige Kompromisse kann man aber nur in einer vertraulichen Diskussion ausloten - und nicht in Talk-Shows.
Ein hart geführter Tarifkonflikt muss doch nicht gleich ein Zeichen für ein schlechtes Verhandlungsmanagement sein?
Das sehe ich anders. Wenn man weniger Drohgebärden über die Öffentlichkeit verbreitet und sich mehr vertraulich um ein Ergebnis bemüht hätte, wäre uns allen das Theater erspart geblieben. Die Personen, die es in die Öffentlichkeit gezogen haben, hätte man frühzeitig durch unbelastetere Verhandler ersetzen müssen.
Glauben sie ernsthaft, dass die Chefs die Verhandlungen anderen überlassen würden?
Es gibt kein eisernes Gesetz, dass solche Verhandlungen nur von den Chefs geführt werden müssen. Manchmal ist es besser, wenn dies Personen tun, die weniger exponiert sind. Bei dem Konflikt geht es auch um zuviel, als dass man auf die Managementposition von einzelnen Personen Rücksicht nehmen sollte.
Immerhin ist durch die Talk-Show von Anne Will vor einer Woche der Dialog zwischen Bahn-Vorstand und GdL-Führung wieder in Bewegung gekommen.
Es ist schlimm, dass es eines solchen Klamauks bedarf, um den Verhandlungsmarathon zu beenden. Die Verhandlungen mit Hilfe einer Talk-Show anzuschieben ist für mich der Inbegriff der Unseriösität. Vielleicht hat die Sendung aber auch etwas Gutes bewirkt, indem sie das Ganze der Lächerlichkeit Preis gegeben hat und die Politik dann endlich eingeschritten ist. Schließlich steht die Bahn kurz vor dem Börsengang und das Unternehmen darf nicht beschädigt werden. Herr Tiefensee hätte sich aber schon letzte Woche einschalten können, dazu braucht er nicht Anne Will.
Wer holt den jetzt den Karren aus dem Dreck?
Ich denke, dass es der Druck von Außen ist. Die Bahn und die Gewerkschaften stehen unter Zugzwang. Jetzt ist Tiefensee vor allem an der Bahn dran, denn Gefahr ist in Verzug. Der politische Druck wird dafür sorgen, dass sich die Beteiligen einigen.
INTERVIEW: TARIK AHMIA
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