Verdinglichung des Körpers

betr.: „Klassenzimmer ohne Kreuz und Kopftuch“ von Edith Kresta, taz vom 14. 7. 03

Kopftuchtragen nur als religiöses Symbol eines Sichbekennens zum muslimischen Glauben zu interpretieren, greift zu kurz. Es ist auch Ausdruck gelebter Religion, so wie koscheres Essen für gläubige Juden dazugehört und nicht dazu gedacht ist, anderen damit kundzutun, woran sie glauben. Kopftuchtragen bedeutet auch: Trage deine (weiblichen) Reize nicht offen zur Schau. Insofern kommt die Forderung, Kopftücher aus der Schule zu lassen, der Aufforderung an Muslime gleich, doch bitte in der Schule Schweinefleisch zu essen, oder an Christen, in der Schule Gott ruhig zu lästern. Woran jemand glaubt, ist natürlich frei und Privatsache, aber deshalb sollte man nicht von Menschen verlangen, in ihrem Berufsleben entgegen ihren Glaubensgrundsätzen zu handeln und zu leben. […] CHRISTINE GÜRTLER, Berlin

Ich möchte vorausschicken, dass ich alle Arten der Bedeckung von Frauen aus „religiösen“ Gründen problematisch finde; ob Kopftücher, Scharia-Mäntel, Nonnentrachten oder jüdisch-orthodoxe Perücken. Spiegelbildlich genauso ätzend ist der westliche Nacktheitsterror – all diesen Phänomenen liegt eine Ideologie zugrunde, die die Herrschaft des Mannes über die Frau festschreibt, ihren Körper verdinglicht, ihr die Fähigkeit abspricht, Subjekt zu sein.

Ich lese jetzt zum x-ten Mal in der taz einen Artikel, in dem die Debatte über das Kopftuch auf dem Kopf einer Lehrerin und das Kreuz an der Wand eines Klassenzimmers in einem Zug genannt werden, so als wären diese Sachverhalte vergleichbar. Es ist aber auch hier wie mit den Äpfeln und den Birnen. Das Klassenzimmer ist ein öffentlicher Raum; Fereshta Ludins Körper dagegen ist kein öffentlicher Raum. Wenn Frau Ludin sich anschicken sollte, ihr Klassenzimmer mit Koransuren und Kaaba-Fotos zu verzieren, hätte ich auch ein Problem. Doch solange es sich um ein Kopftuch handelt, geht es um nichts als ihren Körper, und der sollte ihre Privatsache sein. […] MARTINA SABRA, Köln

betr.: „Kopflose Debatte“ von Sanem Kleff, taz vom 14. 7. 03

Anstatt dem an sich richtigen Gedanken, „die Rolle der christlichen Kirchen zu hinterfragen“, nachzugehen, lenkt Sanem Kleff einmal mehr vom eigentlichen Kernthema ab. Ebenso wie ein staatlich verordnetes Kruzifix hat auch ein Kopftuch als Symbol verfassungsfeindlicher Ideologien an staatlichen Schulen nichts verloren – gleich wie Fereshta Ludin ihr Kopftuch für sich selbst auch begründen mag. Kleff prangert zu Recht die unsägliche Allianz der Politik mit den christlichen Kirchen an, deren Ziele ja nicht etwa deswegen nicht verfassungsfeindlich sind, weil sie sich mit der Demokratie arrangiert haben.

Es kann keine Lösung sein, nun endlich „die Einführung konfessionellen Unterrichts islamischer Prägung“ einzufordern. Stattdessen muss endlich die der Verfassung entsprechende Neutralitätspflicht eingefordert werden, das heißt die konsequente Säkularisierung und somit die Abschaffung des konfessionell gebundenen Religionsunterrichts, der von der keineswegs mehr mehrheitlich christlichen Bevölkerung finanziert wird! Entsprechendes gilt natürlich für die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. GUIDO DEIMEL, Tübingen

Zunächst einmal ist positiv anzumerken, dass ein Grundproblem angesprochen wird, nämlich an säkularen Tendenzen im Staat weiterarbeiten zu müssen. Ohne jede Frage besteht da in vielerlei Hinsicht Nachholbedarf.

Was aber ihre Thesen anbelangt, wie dies weiterhin umzusetzen sei, so unterläuft Frau Kleff leider ein fataler Fehler. Man kann nicht Säkularismus und Gleichberechtigung von Religionen und religiösen Gemeinschaften in der von ihr erbrachten Form fordern. Die gesellschaftliche Anerkennung einer Rechtmäßigkeit anderer Religionsgemeinschaften in der BRD ist dringend notwendig. Islamischer Religionsunterricht führt die Diskussion um Säkularismus aber ad absurdum, denn es ist vielmehr dringend notwendig, den Religionsunterricht in bisheriger Form endlich abzuschaffen, er ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Notwendig sind Fächer wie Ethik und eine Religionskunde, welche die Kinder und Jugendlichen, heranwachsende Menschen, über die Grundwerte und Traditionen, wie Geschichte verschiedener Religionen, so neutral wie möglich informieren. […] Was religiöse Embleme anbelangt, also durchaus Identifikationsmerkmale und identitätsbildende/-stützende Merkmale, so wird man diese Frage wohl nie zur gänzlichen Zufriedenheit aller lösen können. Jedoch meine ich, dass sie im Unterricht, einer Bildungseinrichtung eines demokratischen und säkularen Staates, eben nichts verloren haben. Die Lehrkraft ist zugleich Repräsentant dieser Institution. […]

CHRISTIAN P. OEHMICHEN, Heidelberg

Mit Sanem Kleff und Edith Kresta melden sich in der Auseinandersetzung um das Kopftuch der Lehrerin Fereshta Ludin vor dem Bundesverfassungsgericht erneut zwei Sprecherinnen zu Wort, die die Lösung der Frage nach der Religion in einer pluralen Gesellschaft durch Ausklammern dieser Frage lösen wollen. Sie fordern die Trennung von Religion und Staat und sehen das verwirklicht, wenn Deutschland ein säkularer Staat wäre. […] Sie wollen ein anderes Modell des säkularen Staates als das deutsche, das sich auf dem Weg über den Augsburger Religionsfrieden von 1555 über den Westfälischen Frieden von 1648 zur Frankfurter Paulskirche von 1848 und zur Weimarer-Reich-Verfassung von 1919 entwickelt hat. Das deutsche Modell heißt: säkularer Staat in Kooperation mit Religionen in der Gesellschaft. […]

Unter dem Aspekt der Schule wäre zu bedenken, ob es nicht gerade unter dem Gesichtspunkt einer Erziehung zur individuellen Person und eines freien Subjekts dazugehört, fähig zu sein, sich mit den „letzten Fragen“ zu befassen. Alles spricht dann für eine Beteiligung von Religionsgemeinschaften am Bildungsauftrag der öffentlichen Schulen und nicht für eine Ausklammerung der Religion aus der Öffentlichkeit. Für die Kopftuchfrage muss man also weiter ausholen, als das in den genannten Artikeln geschieht.

ECKHART MARGGRAF, Karlsruhe

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