Vegane Arbeiter : Bauschau
Alle reden von Google Street View, wegen Privatsphäre und so. Bei denen wurde wohl noch nie die Hausfassade saniert. Gegen die Bauarbeiter, die seit gestern vor meinen Fenstern rumhängen, ist Google Street View ein Witz.
Ich komme nach Hause und lese in der Küche meine Post. Ein Bauarbeiter klopft an die Scheibe: „Hey, was schreibt denn dein Liebster?“ Ich sage, das ist eine Postkarte von jemand anders. „Was, hast du zwei Männer? Oder einen heimlichen Verehrer? Was schreibt er denn nun?“
Kurz danach stehe ich am Tisch und schneide Gemüse. Es klopft wieder an der Scheibe: „Watt kochste denn da?“ Suppe, sage ich. „Machste uns ne Hühnersuppe?“ Bevor ich antworten kann, schaltet sich ein zweiter Bauarbeiter ein und zeigt auf mein Küchenregal: „Mann, guck doch mal das Kochbuch an, die isst vegetaaarisch.“ Der erste sagt, das machen ja die jungen Leute heute alle so. Er fragt, ob das nicht ungesund und teuer ist. Ich schaue auf die Zigarette in seiner Hand und schüttel den Kopf. Koche erst mal weiter.
Draußen wird Pause gemacht. Jemand ruft: „Kalle, kommste mit, essen?“ Antwort: „Nee, mit dir geh ich nicht, ich bin doch ab heute vegan, äh dings, vegetarisch.“ Ich gucke raus, die beiden lachen laut und barbarisch. Als ich am Tisch sitze und esse, läuft wieder einer von ihnen vorbei und singt auf eine bekannte Melodie „Wann gibt’s mal wieder richtig Hühnchen?“ Der andere sagt, er hätte auch schon mal Tofu gegessen. „Also pur schmeckt das ja nach nüscht, aber wenn man da richtig wat ranmacht, kann dit echt lecker sein.“ Ich sage, ja, man muss nur wissen, wie es geht. Er versteht mich nicht durch die Scheibe und ruft: „Kannste mal dit Fenster uffmachen, wir können uns ja gar nicht richtig unterhalten.“ Als um 16 Uhr Feierabend ist, kommt er noch mal kurz vorbei: „Wann sollen wir dich denn morgen früh wecken?“ MARGARETE STOKOWSKI