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Archiv-Artikel

VW rüstet in Brasilien zum Generalangriff auf die Arbeiterrechte Das Ende des Wolfsburger Modells

Der Lack ist ab. Trotz boomender Verkäufe beteiligt sich VW immer dreister am globalen Wettlauf um den höchsten Shareholder Value. Auf der Strecke bleiben dabei vor allem zwei Elemente der Unternehmenskultur, mit denen sich die Wolfsburger bislang positiv von ihrer Konkurrenz abhoben: fortschrittliche Arbeitszeitmodelle und der sozialpartnerschaftliche Ansatz, der in den Ländern des Südens noch nie selbstverständlich war.

Mit dem Vorstoß, in Deutschland die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich aufzustocken, verabschiedet sich VW von der einzig vernünftigen Antwort auf den postfordistischen Strukturwandel: weniger Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen. Auch in Argentinien, Brasilien und Mexiko konnte der Multi damit Zeichen setzen. Dennoch verkaufte VW in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weltweit 1,38 Millionen Fahrzeuge – mehr als je zuvor. Das Geschäft laufe in allen Regionen glänzend, räumen die Manager ein. Um ihre Entlassungspläne zu rechtfertigen, verweisen sie auf den harten Konkurrenzkampf und regionale Besonderheiten.

In Brasilien ließ die starke Landeswährung Real die erwarteten Gewinnmargen beim Export dahinschmelzen. Das Beispiel zeigt aber auch: Die Argumente des VW-Vorstands ändern sich je nach Konjunktur; begründet werden damit jedoch stets Entlassungen, Lohnsenkungen, Flexibilisierung. Schon 2001 und 2003 musste die Belegschaft wochenlang streiken, um die wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu verteidigen.

Für die vom Stellenabbau betroffenen Kollegen wurden Abfindungen erstritten, die im innerbrasilianischen Vergleich beachtlich waren. Möglich war dies, weil die Metallgewerkschafter von São Paulo zur gut organisierten Arbeiterelite zählen – auch dank des sozialpartnerschaftlichen Modells, das sich lange Zeit am „rheinischen Kapitalismus“ orientierte. Auch in Brasilien hatte VW bisher den Ruf, nicht nur gute Autos herzustellen, sondern bessere Arbeitsbedingungen zu bieten als Fiat, General Motors oder Ford.

Es ist kein Zufall, dass beim Generalangriff auf die Arbeiterrechte auch der Aktionsradius von Gewerkschaftern und Betriebsräten beschnitten werden soll. Die Einbindung der Arbeiter in die Gewerkschaften bis hin zum VW-Weltbetriebsrat war schon früher eine wichtige Hilfe zur Gegenwehr. In Zeiten des Raubtierkapitalismus wird sie nicht einfacher. Derzeit arbeiten Metaller aus 43 VW-Werken in aller Welt an einer gemeinsamen Strategie des Widerstands. Brasiliens VWler rüsten zum Streik. Ihre deutschen Kollegen sollten sie unterstützen – aus Eigeninteresse. GERHARD DILGER