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VORLAUFBettlektüre

■ "Die Vorleserin", ZDF, 22.40 Uhr

Oh la la, ich bin noch nicht am Ende“, erklärt die Vorleserin am Ende des Films Die Vorleserin. Die verschachtelte Rahmenerzählung erzählt sich endlos weiter. Anfang und Ende sind Stilfiguren der Geschichte. Zumindest scheint diese Verschlingung, nach der die Vorleserin eine Figur aus dem von ihr jeweils vorgelesenen Buch ist, beabsichtigt in Michelle Devilles Kinofilm von 1988.

Es ist dies eine in der Literatur nicht unübliche Form des Erzählens. Doch im Kino ist das anders. Da ist eine Menge Geld mit im Spiel. Zumindest die Produktionskosten muß ein Film wieder einspielen. Also muß der in der Regel wenig lesenden Zuschauer, der die Produktionskosten zurück an die Kinokasse tragen soll, in die Geschichte eingeführt werden, langsam, sachte und schön klar. Es muß ihm erklärt werden, worum es geht, sonst bleibt er zu Hause.

Im Gegensatz zur intendierten Struktur der geschlossenen Rahmenerzählung hat Die Vorleserin also einen Anfang: Weil sie eine so schöne Stimme hat, bittet Jean (Christian Rouche) seine Freundin Constance (Miou-Miou), ihm vor dem Einschlafen ein wenig aus dem Buch „Die Vorleserin“ von Raymon Jean vorzulesen (womit bereits der Autor der Romanvorlage genannt ist). Constance ist eine arbeitslose Akademikerin auf der Suche nach einer Tätigkeit, und wie es der Zufall beziehungsweise die Konstruktion der Handlung will, handelt das Buch in ihren Händen von einer ebensolchen Akademikerin, die Spaß am Vorlesen findet und per Zeitungsanonce um Aufträge wirbt.

Hier wird das eigentliche Motiv eher versteckt denn zum Thema der filmischen Auseinandersetzung gemacht, denn die Annonce „Junge Frau kommt zu Ihnen ins Haus zum Vorlesen“ ist eindeutig zweideutig. Zweideutig wie Sprache überhaupt, besonders die literarische, die der Film fleißig zitiert. Die Vorleserin übersieht die leitmotivische erotische Anspielung in ihrer Anzeige. Genau deswegen gerät sie zum (literarischen) Objekt der Begierde ihrer Zuhörer. Während sie sich auf die konkret definierbare Position der Vorleserin zurückziehen will, wie Münchhausen aus dem Sumpf, verschwindet sie scheinbar zwischen den Zeilen, will heißen, sie wird zur literarischen Prostituierten. Doch diesem potentiellen Vexierspiel um Fiktion und Realität schiebt der Film schon alleine dadurch einen Riegel vor, daß er zwischen der vorlesenden Constance und der vorgelesenen Marie (ebenfalls Miou-Miou) säuberlich trennt.

Diese Konzeptionsschwäche überdeckt der Regisseur mit einigem Geschick fürs Komödiantische. Marie hat eine Reihe exzentrischer Kunden. Einen pubertäreren Lüstling im Rollstuhl, der immer zwischen ihren Beinen „mitliest“, bis er in Ohnmacht fällt. Ferner eine versponnene Generalin mit Lenin-Tick, einen abgedrehten Stadtneurotiker, Alice im Wunderland der Designer und zuletzt einen de Sade-begeisterten Richter: eine Lektüre, die Marie bezeichnenderweise verweigert. Die jeweiligen Kundenbesuche geben Gelegenheit, in prätentiösen Dekors, Accesoires und Milieus zu schwelgen. Die Figuren jedoch erhalten indessen nicht mehr Kontur als plakative Karrikaturen. Statt eines verschlungenen Erzählgespinstes haben wir am Ende nur gehobenes Boulevard, das mit poetischen Reminiszenzen prahlt. Nett und kurzweilig, wenn man nicht ganz so genau hinschaut. Manfred Riepe

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