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VORLAUF"Mörderin des Vaterlandes"

■ Claude Chabrols Spielfilm "Eine Frauensache" um 23.50 Uhr, ARD

Isabelle Huppert als gefallener Engel, als „Engelmacherin“. In der derben Gefängniskluft unter der eisigen Bewachung von Nonnen, die aus ihrer Ablehnung gegen die „Sündige“ keinen Hehl machen, wird ihre Ahnung zur Gewißheit. Für eine Frau, die sich selbstbewußt und ohne moralische Skrupel über die gesellschaftlichen Konventionen hinwegsetzt, kennt das damalige Gesetz keine Gnade. Sie wird der Ideologie des Petain-Regimes geopfert.

Isabelle Huppert spielt die junge Französin Marie Latour, die zur Zeit der deutschen Okkupation mit ihren beiden Kindern in einer französischen Kleinstadt lebt. Die Frauen dort sind weitgehend unter sich, die Männer im Krieg, im Wiederstand oder in Gefangenschaft. Um ihrer Nachbarin zu helfen, nimmt Marie zum ersten Mal eine Abtreibung vor. Das spricht sich herum; sie bekommt Zulauf und läßt sich fortan ihre Dienste als „Engelmacherin“ bezahlen. Ihre „Kundinnen“ sind kleinbürgerliche Frauen, die sich mit Besatzungssoldaten eingelassen haben oder deren Männer im Gefängnis sitzen. Was sie anfangs noch aus einem Gefühl der Solidarität betreibt, wird allmählich zum Geschäft, das ihr zu einer besseren Wohnung und anderen Annehmlichkeiten verhilft. Ihren Mann, der als halber Invalide aus Deutschland zurückkehrt, weist sie zurück und läßt sich statt dessen mit dem jungen Kollaborateur Lucien ein. Von ihrem Mann anonym denunziert, wird sie schließlich verhaftet und vor ein Pariser Gericht gestellt.

Claude Chabrols Film aus dem Jahre 1988 basiert auf dem authentischen Fall der Marie-Louise Giraud, die 1943 in Frankreich als eine der letzten Frauen unter der Guillotine starb, als „Mörderin des Vaterlandes“ wegen Abtreibung. Der französische Regisseur, der bekannt ist für seine beißenden Gesellschaftstudien, hat das „Frauenthema“ emotionslos und dennoch ungemein eindringlich nachgezeichnet. Kälte und Enge bestimmen auch die optische Atmosphäre des Films. Vor allem aber lebt Chabrols Porträt einer Kleinbürgerin, die langsam in die Kriminalität abrutscht, von Isabelle Hupperts schauspielerischer Ausstrahlung, für die sie 1988 in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.

In Frankreich gab es bei der Aufführung des Films zum Teil heftige Proteste wegen Chabrols schonungsloser Darstellung des Mitläufertums in der damaligen Zeit und wahrscheinlich auch wegen Maries blasphemischen Stoßgebets kurz vor der Hinrichtung. Ob dies auch der Grund für den späten Sendetermin in der ARD ist, bleibt das Geheimnis der Programmredaktion. utho

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