VORFREUDE AUFS WOCHENENDE: AN EINEM DONNERSTAGABEND UNTERWEGS IM NEUKÖLLNER GAZASTREIFEN : Wann geht der Partykiller?
ANDERES TEMPERAMENT
Der Plan war ein anderer. Aber gut, die meisten Ägypter hatten sich ihre Wochenende auch anders vorgestellt. Jetzt war alles egal, Konzert in der Flittchenbar, Kongress im HAU, chillen im Berghain, saufen im Myczliwska. Alles, was man an einem normalen Donnerstag in Berlin halt so unternimmt, um die Party zu feiern, bevor das Wochenende kommt, kam dieses Mal nicht infrage. Der place to be war an diesem Donnerstagabend definitiv der Gazastreifen.
Voller Überschwang radelte ich also nach Neukölln. Auf dem Weg aus der taz-Redaktion, in der schon Champagner, Rotwein und sonstige vorhandene Alkoholvorräte geleert wurden, sah ich einen jungen Mann, der gerade vom Fahrrad abgestiegen war und telefonierte. Bestimmt hatte er gerade einen Anruf aus Kairo bekommen, der ihn darüber informierte, dass der Pharao endlich zurückgetreten sei. Egal, ich konnte ihn nicht fragen, musste schnell weiterfahren, denn es war schon kurz vor 21 Uhr und bis zum Gazastreifen war es noch ein Stückchen und ich wollte in diesem historischen Moment unbedingt einem Ägypter um den Hals fallen.
Doch ich musste bremsen. Auf der Zossener Straße standen vier Polizeiautos hintereinander, alle ohne Licht. Würden sie schießen? Ich fuhr ganz langsam an ihnen vorbei. Nichts passierte. Toll! Die Streitkräfte bleiben neutral.
Endlich in Neukölln, halte ich vor El Moussas Restpostenladen in der Flughafenstraße. Dort flimmern auf vier von fünf Fernsehgeräten Livebilder vom Tahrir-Platz in Kairo: Al Jazeera Arabic und N24. Nur auf einem Gerät läuft ein irritierendes Bild: Flugzeuge von Ryanair auf dem Frankfurter Flughafen. Ist Mubarak mit Ryanair geflohen? Nein, es ist die Sendung „ZDF.reporter“, die irgendeinen Skandal aufdeckt. El Moussa, ein Palästinenser aus dem Libanon, schaltet alles aus. Er will heim, mit seiner Frau den Rücktritt feiern.
Ich gehe wie geplant um die Ecke zu Magdis Kiosk. Magdi stammt aus Kairo, und auf seinem Tresen steht seit zwei Wochen ein Monitor, auf dem nur al-Dschasira läuft. Magdi strahlt, springt hinter der Theke hervor und schüttelt mir eifrig die Hände. „Nein, du bist nicht zu spät, er ist zu spät!“ Super, dieses einfache Wortspielchen, das die Ägypter seit Tagen machen, finde ich ganz großartig. „Wir gehen nicht, er geht!“, rufen die Leute auf dem Tahrir-Platz jedem hinterher, der sie dazu auffordert, nach Hause zu gehen.
Mahdis Stammkunden, Mahmoud aus Palästina, Ahmed aus der Türkei und Moritz aus Neukölln, stehen vor Mahdis Tresen und analysieren wild argumentierend den Stand der Dinge: Die CIA lügt, das türkische Militär wäre schon längst eingeschritten. Mahdi erklärt, was wirklich wichtig ist: „Die Leute auf dem Tahrir-Platz wollen eine Wohnung, einen Job und eine Frau.“ Immer wieder kommen Kunden in den Laden, fragen nach einzelnen Zigaretten, Telefonkarten oder einem Kugelschreiber und immer auch: „Und? Ist er endlich zurückgetreten?“
Dann auf einmal erscheint Mubarak tatsächlich auf dem Bildschirm. Mahdis Gesicht erstarrt. Noch bevor er den ersten Satz von Mubarak übersetzt, sagt er: „Das war’s. Der tritt nicht zurück.“ Mahdi aber gibt sich ganz als professioneller Übersetzer und dolmetscht simultan die ersten fünf Minuten. Dann wendet er sich ab. „Schade“ und „lächerlich“, sagt Mahdi. „So redet man mit seiner Frau, wenn man Beziehungsprobleme hat, aber so redet kein Präsident, der ein Problem mit seinem Volk hat.“
Mubarak, der Partykiller. Was für ein bizarrer Auftritt. Ich fahre nach Hause. Die Kneipen im Reuterkiez sind voll. Ein junger Mann steht alleine vor einer Kneipe und raucht unter einem Heizpilz. Es beginnt zu regnen, und es ist ziemlich kalt.