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Archiv-Artikel

VON RELATIV GEZÄHMTEN RESTBESETZERN IN GESCHMACKVOLLEM ENTERIEUR, SHOW-EINLAGEN FÜR EINE GUTE SACHE UND DER GROSSEN ZOOFLUCHT VON 2012 Parade der schimpfenden Schimpansen

VON JURI STERNBURG

Langsam wird’s ernst. Bereits im Jahr 1996, als ich zum ersten Mal den sandigen Hof des Tacheles betrat, stand die Räumung der Künstler- und Freakherberge unmittelbar bevor. Zumindest laut Tommy Sixthousand (nicht zu verwechseln mit Bobby Sixkiller aus der Kultserie „Renegade“), einer Freaklegende aus Mitte, seines Zeichens Fotograf, Maler, Bildhauer, Dichter und Dauergast in der von mir schmerzlich vermissten „Erdbeerbar“. Allerdings erzählte uns Tommy damals auch, dass er sieben in den Boden eingelassene U-Boote auf dem Tacheles-Gelände baut, welche durch Tunnel miteinander verbunden sein sollten.

Später sollten diese U-Boote dann zur Expo nach Hannover gebracht werden, der Deal war bereits eingetütet. Aber wie wir heute wissen, bestand das Tacheles weiter, die U-Boote wurden nie gebaut, und die große Hannoveraner Zooflucht von 2012 (im Juli türmten einige Schimpansen aus ihren Gehegen) hat die Expo als bedeutendstes Ereignis in der Geschichte Hannovers längst abgelöst. Wer die Schimpansen schimpfend durch die Straßen ziehen sah, kann sich vorstellen, welch ein Affront dies für die nur gelegentlich durch Hells Angels oder Bundeskanzler aufgeschreckte Bevölkerung darstellte.

Immer verlorenes Tacheles

Wer zudem diesen Zoo einmal besucht hat (Gott sei mein Zeuge, das habe ich im Jahr 2005 vor einem Fußballspiel getan), der versteht den Ärger der Schimpansen: Schließlich reicht es dem Direktor nicht, dass die Tiere traumatisiert in ihren Käfigen hocken, sondern sie müssen auch noch unendlich viele Tricks und Showeinlagen einstudieren. Elefanten müssen Fußball spielen, Robben müssen den ganzen Tag Hände schütteln, und die Schimpansen tanzten mit einem Hula-Hoop-Reifen. Das konnte man für den stolzen Preis von 17 Euro zwar auch erwarten, aber von dem schnöden Mammon sehen die Schimpansen nichts.

Zurück zum Tacheles. Immer wieder war das Gebäude quasi verloren. Und wenn ich erfuhr, dass wieder ein Aufschub erreicht wurde, freute ich mich weitaus mehr, als wenn eine sozial schwache Familie von RTL ein neues Domizil übereignet bekam. Schon allein, weil das Enterieur des Tacheles geschmackvoller war. Doch auch hier werden schon seit einiger Zeit Showeinlagen vorgeführt. Die relativ gezähmten „Restbesetzer“ sind allesamt weit entfernt von der Aufsässigkeit der Hannoveraner Schimpansen. Die eine Hälfte hat sich schlicht und ergreifend aus dem Haus kaufen lassen. Die andere Hälfte erklärt auf Nachfrage, das Haus freiwillig zu räumen, wenn der Gerichtsvollzieher demnächst erscheine.

Vervollständigt wird das Bild von einem inzwischen im Hof angelegten Kunstpark, welcher höchst offiziell und äußerst penibel eingezäunt wurde und den Besuchern den Weg vorschreibt. Ein Affront. Warum man sich nicht aktiv wehre, hake ich nach. Nein, sagen sie, Gewalt sei kein legitimes Mittel. Auch mein Vorschlag, sich zu verbarrikadieren, wird misstrauisch beäugt. Man habe ein gutes Verhältnis zur Polizei, das solle auch so bleiben.

Was ihnen dieses gute Verhältnis bringt, wenn sie erst mal auf der Straße stehen, verstehen wohl nicht mal die Schimpansen in Hannover. Trotz alledem fand am Wochenende ein Solikonzert der Gruppe „Queer for Tacheles“ auf der Oranienburger Straße statt. Dort wurde, ähnlich wie in Hannover, viel geschimpft, allerdings weitaus weniger Aufruhr veranstaltet. Man beschwerte sich über die Kulturpolitik, ließ dazu ein paar DJs und Bands antreten und war ansonsten relativ zufrieden mit den gewählten Aktionsformen.

Die Wut, die man für solche Kämpfe braucht, suchte man hier vergebens. Natürlich würde das niemand freiwillig zugeben, aber im Endeffekt haben die Meisten das Haus und die damit verbundene Teilfreiheit bereits aufgegeben. Mir und den Schimpansen aus Hannover geht es da anders.