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Archiv-Artikel

VERSTÄNDLICH, ABER ÖDE: GRÜNEN FEHLEN ALTERNATIVEN ZU SICH SELBST Zufrieden im Sachzwang

Es klingt fast wie ein linker Aufbruch: Der grüne Parteivorstand will die Erbschaftsteuer weiterentwickeln, die Vermögensteuer wieder einführen, die Arbeitsmarktreformen Hartz IV korrigieren – und den Mindestlohn findet die Parteispitze auch gut. So steht es im Antrag, den der Bundesvorstand auf dem nächsten grünen Parteitag Anfang Oktober in Kiel präsentieren will.

Was ist mit den Realos los? Gar nichts, bei näherer Lektüre. Realistisch ignorieren sie nie den Sachzwang. Beim Mindestlohn etwa wird zu Recht erwähnt, dass die Gewerkschaften bei diesem Thema gespalten sind. Beim Arbeitslosengeld II will man zwar gern die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern – aber leider, auch das ist richtig, verweigert sich die Union im Bundesrat. Und bei der Vermögensteuer hat man noch gar kein Konzept.

Eigentlich, so stellt sich heraus, bleibt als Reformprojekt nur die Erbschaftsteuer. Sie soll tatsächlich noch bis zur nächsten Bundestagswahl umgemodelt werden. Das klingt überraschend schnell und mutig, doch verbirgt sich auch dahinter ein Sachzwang: Anfang 2005 will sich das Bundesverfassungsgericht mit der Erbschaftsteuer befassen. Denn schon der Bundesfinanzhof hatte kritisiert, dass Geldvermögen stärker belastet wird als Sachwerte.

Es ist nicht schwer, eine kleine Prognose zu wagen: Alsbald werden fast alle Parteien die Erbschaftsteuer entdecken, um sich als das soziale Gewissen der Nation zu profilieren. Schließlich weiß auch die Konkurrenz der Grünen, dass ein Richterspruch aus Karlsruhe zu erwarten ist. Und sowieso eignet sich kaum ein Thema besser, um gefahrlos Stimmung zu machen: Faktisch ist die Erbschaftsteuer recht bedeutungslos. 2002 brachte sie 2,2 Milliarden Euro ein, während allein die Tabaksteuer auf rund 14 Milliarden Euro kommt.

Man kann ja verstehen, dass es einer Regierungspartei nach sechsjähriger Kabinettszugehörigkeit schwer fällt, Alternativen zu sich selbst zu formulieren. Aber schade ist es trotzdem, denn einfach nur Sachzwang: das langweilt.

ULRIKE HERRMANN