Urteil nach Zugblockade: Kleiner Mensch auf dem Gleis
Aktivistin Hanna Poddig wird vor Gericht wegen Störung des Bahnbetriebes zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. Ihre Verteidigung will Rechtsmittel einlegen.
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Uniformierte vor dem Gebäude und im Saal, Taschen- und Personenkontrollen: "Wir haben da einen linksgerichteten Prozess", erklärte ein Justizbeamter am gestrigen Mittwoch im Amtsgericht Husum. Der Aufwand galt Hanna Poddig, einer schmalen Frau mit Pferdeschwanz, Flatterrock über Jeans und nackten Füßen: Die Mittzwanzigerin hatte sich im Februar 2008 an ein Bahngleis nahe eines Militärdepots gekettet, um gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr zu protestieren. Gestern verurteilte sie das Amtsgericht wegen Nötigung und Störung des Bahnbetriebes zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro, verteilt auf 120 Tagessätze. Die Verteidigung wird Rechtsmittel einlegen.
Was in der Nacht im Gleisbett geschah, ist dabei unstrittig: Die Politaktivistin lag auf der Schiene, die Hände in einem Rohr, das sie unter das Gleis geschoben hatte. Erst die Landes-, dann die für Züge zuständige Bundespolizei versuchte, sie wegzuheben, was misslang. Am Ende rückten Technisches Hilfswerk (THW) und Feuerwehr an und zerschnitten die Schiene. Der Transport aus dem Bundeswehrdepot verspätete sich, auf der Strecke Jübek-Husum fielen mehrere Züge aus.
Bei der Bewertung allerdings lagen Staatsanwalt und Verteidiger weit auseinander. "Die Angeklagte hat den Zugführer genötigt", so Staatsanwalt Joachim Berns, und sie müsse sich "zurechnen lassen, dass sie gewaltsam befreit wurde". Auch die "Störung des Bahnbetriebes", die in Paragraph 316 b beschrieben wird, sah der Staatsanwalt als erwiesen an: "Die Brauchbarkeit des Gleises war gemindert." Er kritisierte das Verhalten Poddigs und ihrer UnterstützerInnen, die die Verhandlung immer wieder gestört hatten, auch am Donnerstag wurde ein Zuhörer aus dem Saal getragen: "Das macht jedem Kindergarten Ehre." Poddig "vermittelt den Eindruck, dass hier politische Justiz betrieben wird", dass sie wegen ihrer Gesinnung verurteilt werde - das sei "Blödsinn".
Natürlich sei das Verfahren hoch politisch, erklärte Verteidiger Dieter Magsam. Die Gruppe habe sich auf den Gleisen versammeln dürfen: "Es gibt keine demonstrationsfreie Zone." Formal argumentierte er, dass die Polizei die Versammlung nicht aufgelöst hatte - daher hätte Poddig die Schiene nicht räumen müssen, auch habe der "kleine Mensch auf dem Gleis" keinen Schaden angerichtet. Inhaltlich spannte er den Bogen zur NS-Zeit: Damals wurde die "Störung wichtiger Betriebe" zur Straftat. Später habe sich der Paragraph nur auf Sabotage bezogen und sei erst bei den Castor-Prozessen auf Gleisblockaden ausgeweitet worden. "Wie gehen Gerichte mit diesen Themen um?", fragte Magsam, ahnte aber wohl schon, dass die Argumente ungehört bleiben würden: "Die Situation hier hat sich so versteift, dass Kommunikation kaum mehr möglich ist."
Poddig und ihre UnterstützerInnen trugen ein Gutteil Schuld daran: Poddig unterbrach Richter Stefan Veckenstedt, warf ihm "beknackte Formfehler" und Willkür vor. Sie nutzte auch ihr Schlusswort, "um die Abläufe vor Gericht zu thematisieren". Dies hielt Veckenstedt ihr in seiner Urteilsbegründung vor: Sie zeige keine Einsicht oder Versöhnlichkeit. Die Taten seien ihr voll anzurechnen. Und: Am nächtlichen Gleis habe es keine Öffentlichkeit gegeben, also sei es gar keine Demonstration gewesen. Darüber konnte Magsam nur den Kopf schütteln: "Das müssen wir uns nicht gefallen lassen." Hanna Poddig hörte die Begründung schon nicht mehr an, sie verließ den Saal türenknallend.
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