piwik no script img

■ Urdrüs wahre KolumneKomm' raus mit „Herzilein“

Auf der Suche nach böhmischer Blasmusik gegen November-Maroditis findet unsereins beim Stöbern in der deutsch-folkloristischen Sektion der Tonträgerabteilung eines hiesigen Kaufhauses eine Benefiz-Produktion „Volksmusikanten für die Kurden-Hilfe“. Die Wildecker Herzbuben als Partisanen der Berge? Zillertaler Schürzenjäger als ruhmreiches Alexandrov-Ensemble der PKK? Tjajaja, Konsul Karlchen, Sie sind umzingelt aus dem Urschlamm des Gemüts: Komm'se raus mit erhobenen Händen und mit Herzilein auf den Lippen, als Zeichen der Kapitulation!

Als Stellungnahme „zu den Vorkommnissen zum Tag der deutschen Einheit“ reicht der Hausrat des Kulturzentrums Lagerhaus ein erstaunliches Sprachkunstwerk über den Tisch, aus dem wir mal zwei beliebig herausgegriffene Sätze zum Besten geben wollen: „Vorgesehen war eine Darstellung, die das Für und Wider dieses Anlasses beleuchten und einen den demokratischen Grundsätzen entsprechenden Ausdruck finden sollte. Dieses Vorhaben konnte nicht oder nur sehr eingeschränkt realisiert werden, da die erklärte Intention unzureichend dargestellt und die Art und Weise, wie sie der Öffentlichkeit von politischer Seite und den Medien bekanntgemacht wurde, die Umsetzung derartiger Ansätze unmöglich machte.“ Uff... Wer diese verbalen Darmwinde aus der Kanzlei von Dr. Konfusius in ganzer Schönheit genießen möchte, lese die restlichen 95 % dieses Manifests gequälter Verstörtheit bitte im hiesigen Monatsmagazin ZETT nach. Nichtbremische Philologen mit dem Forschungsgebiet „Sprache und Frühvergreisung“ fordern bitte eine Ablichtung unter dem Kennwort Spreizmaul an .

So kommt Freude auf in trüber Zeit. Schenkt mir doch en passant ein freundlicher Hutzelmann im besten Rentenalter mitten in Bremen-City ein Johannes-Evangelium im Miniformat und versichert eifrig, mir das Werk auch vorlesen zu wollen, „falls de mieden Augen nich mehr wollen“. Dem Herrn sei Dank, es geht noch ohne Lesehilfe und Schnabeltasse, aber immerhin: „Vergelt's Gott, Herr Schriftenmissionar!“

Wie schön, wenn Kunstschaffende und das zuständige Senatsressort in Liebe zueinander erglühen! Zum 5O. Geburtstag des öffentlich bediensteten Kulturöberschten Hans-Joachim Manske erstellte der BBK eine kleine Zeitung mit dem neckischen Titel UpArt und lässt darin diverse Ateliergemeinschaften und Initiativen das Hohe Lied vom lieben Achim singen. Nuja, why not?! In der herzförmigen Grußadresse des Berufsverbandes Bremer Kunstproduzenten aber grüßt neben dem Vorstand auch noch „die BBK-Ursula“ und da sagen wir schlicht und völlig überwältig „Sssuper! Ssspitze!Bussie hier und da und eiteitei!“

Warnen warnen warnen möchten wir alle verantwortungsbewussten Eltern dieser Stadt vor dem heutigen Abend! Nehmen Sie es nicht einfach gutgläubig hin, wenn Ihr Junior im aufgemotzten Konfirmandenanzug oder Frollein Tochter im „kleinen Schwarzen“ gegen 19 Uhr an Ihnen vorbeihuschen, um „eben auf die Schnelle noch was Gras zu kaufen“ oder „auffem Friedhof mit den andern nochn bißchen rummachen“. Zu befürchten steht, daß die Kids in Wahrheit zum Jugendpresseball ins Parkhotel wollen, wo sie in denkbar schlechte Gesellschaft kommen – am Ende gar noch den Verlockungen der Porsche-Nachwuchsszene erliegen und damit ihre Zukunft gefährden. Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß der vertrauenswürdige Bürgerschaftspräsident Dr. Klink persönlich die Aufsicht führt – auch Dieter kann nicht überall sein: Der Weg von der Halali-Bar zu Jil Sander und Hugo Boss ist kürzer als man denkt! Ulrich Reineking-Drügemöller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen