■ Urdrüs wahre Kolumne: „Zur Lippe, zur Titte, zum Sack“
Ideenreich sind sie ja, die Damen und Herren von der Asylgruppe Ostertor: Mit ihrem jüngsten Vorschlag zur erbarmunglosen Güte beweisen sie obendrein, daß es ihnen nicht nur immer um den Dritte-Welt-Schmutzfuß geht, sondern auch um den deutschen Saubermann, so er im Urlaub zum Ausländer mutiert. Mitführen soll der Inhaber des Bundespersonalausweises künftig analog zur Asycard bei Auslandsreisen die Tourist-Card. Natürlich mit Name und Ahnenpaß, Finger- und Fußabdrücken sowie Kontostand im Speicher. Auf dem Datensichtgerät sollen auch im Zeichen des Devisensparens eventuell mitgeführte Linsendosen und vakuumverschweißte Bockwürste per Strichcode erscheinen. Wesentliche weitere Merkmale wären etwa arbeitslos, profilneurotisch oder müßiggängerisch. Auch für T-Card-Inhaber aus dem Bereich Organisierte Kriminalität (Abgeordnete, Banker, Spekulanten) kann so ein Mobilitätsraster erstellt werden. Wichtig: Ohne T-Card auch für unter 16jährige keine Rückreise ins Schlaraffenland!
Zwischen reduzierten Hörgeräte-Batterien und den Versprechen besenreiner Entrümpelungen findet sich im Kleinanzeigenteil des Weserkuriers trotz des allgemeinen Ferienbeginns dieser Hinweis: „Die Liebes-Schule zeigt neue Wege auf, ein glückliches und befriedigendes Leben mit sich selbst und anderen zu führen“. Das wäre mal ein Resozialisierungsprogramm für Ausländeramtsleiter, Turnlehrer und ADAC-Stauberater, die sonst nur noch den Fußpilz als Freund haben. Unter dem Stichwort DO IT! wird für aufrecht Reuige der Kontakt zum neuen Leben hergestellt!
Anerkennenswert, daß die Bremer Tageszeitungs AG es sich trotz des schwierigen Marktes immer noch leisten kann, eine vermutlich 96-jährige Werbefachkraft nach einem Dreivierteljahrhundert Lohnschreibertätigkeit als Hauspoeten weiterzubeschäftigen: „Doppelt vorteilhaft, zum Nutzen und zur Freude, ist auch für Sie die Lektüre dieser Tageszeitung. Es nützt Ihnen sehr, wenn Sie über aktuelle Tagesfragen objektiv informiert sind; und außerdem erfreut es Sie jeden Tag aufs neue, wenn Sie durch „Ihre“ Tageszeitung an der Fülle des Lebens teilnehmen“. Gibt es bei solch handgepopelter Eigenwerbung noch irgendwelche Einsprüche gegen die Gültigkeit des Schnacks vom Kalendermann?
Daß der angenehmere Teil der Menschheit seinen Weg in die Welt per Bus und Bahn zurücklegt, darf auch dann als gesicherte Erkenntnis gelten, wenn zu diesem Kreis auch jene gehören, die sich am Wochenende im kärglichen Singsang wechselseitig versichern, daß Reserve bald Ruh hat: „Es klingt wie eine Sage/ noch achtundachzig Tage/ hoch die Tasse/ Zickezack. Zur Lippe/ Zur Titte/ Zum Sack!“ Jedenfalls: Ich lese im Speisewagen auf dem Weg nach Bremen die „taz“, als plötzlich ein unmöblierter Erste-Klasse-Herr im Vorübergehen fragt, ob ich ihm die Zeitung überlassen wolle – „Ich will damit die Kollegen schocken“. Volle Freude, daß es solche leicht erschreckbaren Subkulturen heute noch gibt, verzichte ich auf das Aushandeln einer Entschädigung, überlasse ihm das Blatt und werde fast postwendend mit einem Pils erfreut. Hat eigentlich das taz-Marketing schon den ICE und schockierwillige Betriebswirte als Zielobjekte der Vertriebsanstrengungen erfasst?
Ein Puzzle mit 750 Teilen wird im Gröpelinger Sonderpostenmarkt angeboten, und trotz qualvoller Enge in den Gängen beginnt ein mutmaßliches Junkie-Pärchen damit, die Menge auf einem „rollenden Serviertisch, elfenbeinfarben“ nachzuzählen. Das empört offenbar den Filialleiter, denn er geht auf die „Herrschaften“ zu und meint: „Herrschaften, bei 5 Mark zählt man doch nicht lange nach“. Lebensnah wie zutreffend teilt der weibliche Bestandteil des Pärchens mit, daß man für einen Heiermann auch Lotto spielen und dann über 20 Millionen Mark gewinnen könne. Ungerührt entgegnet der Manager des Hauses nunmehr: „Die Millionen verballert Ihr dann doch nur in ein paar Wochen“, worauf der männliche Part des Gespanns unverhohlen erklärt: „Das machste mir aber erst mal vor, Alter!“ Auch Mißtrauen kann gerechtfertigt sein. Meint jedenfalls
Ulrich „Lottofee“ Reineking
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