Unsere Atomkraftwerke (2): Die Festung

Für die Atomindustrie ist das AKW Brokdorf ein Vorzeige-Reaktor in Sachen Produktivität. Für die Anti-Atom-Bewegung ist es ein Symbol für die Massenproteste der 1970er und 80er - und für gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Ein mystisch aufgeladener Ort mit Doppelfunktion: Das AKW Brokdorf ist zentral für die Entstehungsgeschichte der Anti-Atom-Bewegung - und der Vorzeige-Reaktor der Atomindustrie. Bild: Klaus Irler

Dem Pärchen kommt der Frühling recht. An den Maulwurfshügeln vorbei sind sie über den Grünstreifen ins Wasser gegangen. Dezent dringt ein metallisches Quäken durch die Luft, ein Quäken, das das Pärchen an den Schlusskampf in alten James Bond-Filmen erinnern könnte, wenn der Bösewicht in seiner metallenen Machtzentrale den Alarm auslöst. Aber das Pärchen guckt keine alten James Bond-Filme. Das Pärchen guckt durch einen Metallzaun auf ein Wellblech-Gebäude, aus dem das Quäken kommt. Das Pärchen ist ein Schwanenpaar. Die Schwäne sind heimisch geworden in dem Wassergraben, der um das Atomkraftwerk Brokdorf gezogen ist. Hinter dem Wassergraben kommt der erste Zaun, dann ein Grünstreifen, dann der zweite Zaun, dann ein Streifen mit Kiesel, dann der dritte Zaun. Das AKW Brokdorf ist eine Festung mit Wassergraben, gebaut nach dem Vorbild einer mittelalterlichen Burg.

Die Anlage liegt am Fuße eines Deiches und ihre Gebäude wirken wie die Körperteile eines zusammengekauerten Riesenkäfers. Ein Riesenkäfer mit Kraft: Der Druckwasserreaktor des AKW Brokdorf hat eine Nettoleistung von 1.410 Megawatt und ist laut Weltrangliste einer der drei produktivsten weltweit.

Das AKW Brokdorf ist der Vorzeige-Reaktor unter den norddeutschen AKWs. Zwar gibt es immer mal wieder meldepflichtige Pannen, aber keine solchen, die zu langen Zwangspausen führen würden. Dafür wird viel Strom produziert und es gibt viele radioaktive Brennelemente, die entsorgt werden müssen. Seit 2007 gibt es ein Zwischenlager am AKW. Gebaut innerhalb der Festungsmauern.

Das AKW Brokdorf arbeitet mit einem Druckwasserreaktor und gehört zu 80 Prozent dem Konzern Eon und zu 20 Prozent Vattenfall.

Auf den Baubeginn im Oktober 1976 folgen sofort Großdemonstrationen.

Im Dezember 1976 verfügt das Verwaltungsgericht Schleswig einen vorläufigen Baustopp.

Im Januar 1981 wird der Baustopp aufgehoben. Das OVG Lüneburg erkennt Fortschritte bei der Lösung der Entsorgungsfrage.

Im Oktober 1986 wird das AKW in Betrieb genommen.

Berühmt geworden ist das AKW Brokdorf für die Ereignisse, bevor die Technik in Betrieb genommen wurde. Brokdorf ist einer der zentralen Orte der Protestkultur in der BRD. Im Oktober 1976 bekriegen sich nach einer friedlichen Kundgebung rund 400 militante Demonstranten mit der Polizei. Im Februar 1981 stehen am Bauzaun rund 100.000 Demonstranten 10.000 Polizisten gegenüber. Im Juni 1986 hält die Polizei über 800 Personen im "Hamburger Kessel" bis zu 13 Stunden lang fest. Ebenfalls im Juni 1986 kommen 40.000 Demonstranten nach Brokdorf. Die Polizei sperrt das Gelände weitläufig ab. Wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Die Polizei setzt in Brokdorf unter anderem Wasserwerfer, Reizgas und Nato-Draht ein. Die gewalttätigen Demonstranten halten Polizei-Hubschrauber mit Drachen aus Aluminium auf Distanz, werfen Steine, haben Zwillen und übersteigen den Nato-Draht mit Teppichen, die sie als Transparente tarnen.

Brokdorf ist 1986 längst zu einem Symbol geworden: Es geht bei den Demonstrationen nicht mehr allein um die Atomkraft, sondern auch um die Frage, wie der Staat auf Proteste reagiert, wie er umgeht mit dem Phänomen der Großdemonstrationen und damit, dass es unter den Demonstranten auch solche gibt, die gewalttätig vorgehen. Die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf am 8. Oktober 1986 wird so schnell und lautlos organisiert, dass die Atomkraftgegner nicht mehr reagieren können. Das AKW ist weltweit die erste Anlage, die nach der Katastrophe von Tschernobyl in Betrieb genommen wird.

Aus der Ferne sieht das AKW aus wie ein Tempel. Ein sakrales Gebäude mit Doppelfunktion: Das AKW ist zugleich der Vorzeige-Reaktor der Atomindustrie und ein Geburtsort der Anti-Atom-Bewegung. Baubeginn war am 26. Oktober 1976 um 1.00 Uhr nachts. Unter Polizeischutz.

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