piwik no script img
taz logo

Unicef: „Verschuldung tötet 1 Million Kinder“

■ UNICEF-Direktor erhebt schwere Vorwürfe: Zinslast der Schuldnerländer wird mit dem Leben der Ärmsten bezahlt / IWF: „Ohne uns würden noch mehr verhungern“ / Camdessus will Banken zum Teilschuldenerlaß auch für Länder mit „mittlerem“ Einkommen bewegen

Berlin (taz/dpa)-Die Schulden, die auf den meisten afrikanischen Ländern lasten, haben in den letzten Jahren mehr als eine Million Kinder getötet. Diesen Vorwurf erhob der Direktor des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), James Grant, termingerecht zur Herbsttagung von IWF und Weltbank in Berlin. Grant begründete den Zusammenhang von Schulden und Tod damit, daß die Ausgaben der verschuldeten Staaten für den Zinsendienst deren Haushalte zu stark belasten. Es bleibe kein Geld, um Arzneimittel, Lehrer oder auch Wasserleitungen zu bezahlen.

Grant forderte die Industrieländer auf, ihre „abstrakte“ Bereitschaft zu einer Lösung des Schuldenproblems in die Wirklichkeit umzusetzen. Noch gebe es „eine tiefe Kluft“ zwischen öffentlichen Erklärungen und der Tatsache, daß jeden Tag tausend Kinder als Folge der Schuldenbelastung sterben.

Ein Mitarbeiter des IWF, der nicht namentlich genannt werden wollte, nahm auf Anfrage zu diesem Vorwurf Stellung: Es sei ein Fehler der verschuldeten Länder gewesen, mehr Geld auszugeben, als sie einnehmen konnten, erklärte er; die Anpassungsmaßnahmen, die der Fonds von ihnen verlangte, seien unumgehbar. Er räumte ein, daß die Armen die ersten seien, die unter der Verschuldung zu leiden hätten. Es würden jedoch noch viel mehr Kinder an den indirekten Folgen der Verschuldung sterben - gäbe es nicht den Fonds mit seinen Versuchen, der Wirtschaft dieser Länder wieder auf die Beine zu helfen. Außerdem sei die Einkommensverteilung in diesen Ländern eine Angelegenheit der nationalen Regierungen, in die der IWF nicht hineinreden wolle.

Der IWF-Direktor Michel Camdessus hatte gegenüber Kirchenvertretern am Donnerstag in Berlin ebenfalls unterstrichen, daß der IWF keinen Einfluß darauf habe, wie die Regierungen der verschuldeten Staaten die Lasten der Anpassung in ihren Ländern verteilen. Camdessus hatte zugegeben, daß die Armen oftmals nicht sehr gerecht behandelt werden würden. Bei seinem Gespräch mit den Kirchenleuten wies er auch darauf hin, daß der Fonds bei seinen Verhandlungen mit den Entwicklungsländern dafür eintrete, Verteidigungsausgaben stärker zu kürzen.

Zugleich hat der IWF-Chef, der den Dialog mit den Kritikern des IWF-Kongresses als hilfreich bezeichnet hat, einen Vorstoß unternommen, der auf erheblichen Widerstand bei den Banken stoßen wird. Nicht nur die Gläubiger-Regierungen und die multinationalen Institutionen sollten über einen teilweisen Schuldenerlaß auch für die Länder mit „mittlerem“ Einkommen nachdenken, sondern auch die Geschäftsbanken.

diba Kommentar Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen