Ungarns umstrittenes Mediengesetz: "Es wird noch krasser"
Viktor Orbán und sein Kabinett verunglimpfen Gegner des neuen Mediengesetzes. Intellektuelle werden zu "Verrätern", die ausländische Medien in die Irre führen.
BUDAPEST taz | "In Ungarn wurde die Pressefreiheit" aufgehoben", titelte die taz am 3. Januar 2011 und schloss sich damit einer Aktion der ungarischen Tageszeitung Népszabadság an. Auf der Facebook-Seite des Blattes führt ein Leser aus Budapest den Satz auf Deutsch fort: "Es wird noch krasser"! Er sollte Recht behalten.
In Onlineforen sind die Unterstützer der Regierung aufgebracht wie lange nicht. Dabei wiederholen sie nur, was offizielle Stellen schon seit Wochen propagieren. Die internationale Presse habe das neue Mediengesetz, das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, nicht lesen können, da es noch keine Übersetzung gebe, behauptet die Regierung. Doch selbst die Abgeordneten, die das Gesetz verabschiedet haben, haben es in den letzten Tagen immer wieder falsch zitiert.
Für die Regierung steht fest, dass linksliberale europäische Meinungsmacher auf die Panikmache ihrer ungarischen Genossen hereingefallen sind. Le Monde und The Times mutieren zu kommunistischen Blättern, von als "Verräter" gebrandmarkten heimischen Intellektuellen in die Irre geführt.
Anerkannte ungarische Schriftsteller wie György Konrád werden als fremdartig bezeichnet und alle verstehen, was gemeint ist. Antisemitische Denunziationen sind Teil des Selbstschutzes, mit dem auch rechtsgerichtete ungarische Medien die Kritik an der Regierung Orbán zurückweisen.
Am Montag befasste sich die konservative Zeitung Magyar Nemzet mit dem Aufschrei im Westen. Eine Journalistin versuchte die Kritik von Daniel Cohn-Bendit wegzuwischen, indem sie Anspielungen auf die sexuellen Neigungen des grünen Europapolitikers machte.
Bald wird sich zeigen, wie die neue Medienbehörde mit ihren immensen Machtbefugnissen umgeht. Sie könnte Strafen wegen Antisemitismus und Hetze gegen Andersdenkende verhängen, aber es ist unwahrscheilich, dass dies geschehen wird.
Richtiger Widerstand formiert sich derweil nur im Internet. Mehr als fünfzigtausend Menschen haben sich einer Petition auf Facebook angeschlossen und überall kursieren bösartige Karikaturen über die Regierung. Dabei kommt die Chefin der Medienbehörde am schlechtesten weg. Sie war vor Jahrzehnten Chefredakteurin einer erotischen Zeitschrift und schrieb einen Kommentar, in dem sie die Prüderie und Zensur in Ungarn zurückwies. Es ist die Lächerlichkeit, die diese Machthaber wegspülen wird, schreibt ein populärer ungarischer Blogger.
Mittlerweile hat sich auch die EU-Kommussion zu Wort gemeldet. Medien-Kommissarin Neelie Kroes schickte Budapest am 24. Dezember einen Brief. Darin äußert sie Zweifel daran, dass die Medienbehörde unabhängig vorgehen könne, sagte Kommissionssprecher Olivier Bailly am Montag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump