die taz vor 10 jahren : Und wieder trifft es die Ärmeren
Ronald Reagans Weltbild war einfach: Niedrigere Steuern führen zu höheren Investitionen, und die führen über kurz oder lang zu höheren Staatseinnahmen. Die Reaganomics bescherten den USA jedoch statt dessen das höchste Defizit aller Zeiten.
Anderthalb Dekaden später möchte die Koalition auch in Deutschland gerne Steuern senken. Die Reaganomen deutscher Provenienz haben aber immerhin gelernt, daß die Einnahmeausfälle irgendwie gedeckt werden müssen. Durch Haushaltseinsparungen (wo genau, weiß man nicht) und den Abbau von Steuervergünstigungen (vom Subventionsabbau redet man nicht mehr) sollen mindestens 60 Milliarden Mark reinkommen. Doch das reicht nicht. Nun wird offenbar, daß Kohls Versprechen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen, sich bestenfalls aufs kommende Haushaltsjahr beschränkt. Die Ideologie der Regierung lautet schlicht und unverbrämt: Gebt den Reichen und nehmt von den Armen. Die Sparvorschläge tangieren regelmäßig die Grundfesten des Sozialstaats, während die Wohlhabenden en passant neun Milliarden Mark Vermögensteuer geschenkt bekommen. Wenn nun die Mehrwertsteuer erhöht wird, tragen wiederum die Geringverdiener proportional zu ihrem Einkommen die größte Last.
So steht die Regierung ordnungspolitisch konzeptionslos da. Die Idee von einer großen Steuerreform, die das System einfacher und gerechter machen sollte, wird pervertiert, bevor sie überhaupt in Gang kommt. Und an eine ökologische Steuerreform, die durch eine Senkung der Arbeitskosten zur Schaffung von Jobs beitragen könnte, wagt sich die Koalition erst recht nicht. Statt dessen setzt sie lieber da an, wo sie den geringsten Widerstand zu erwarten hat, und das ist nun mal bei Arbeitern und Angestellten, Arbeitslosen und Rentnern. Nicola Liebert, 4. 12. 1996