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Und bist du nicht willig ...

■ Wie Hamburgs 12.000 bosnische Flüchtlinge „zurückgeführt“ werden: „Konflikt programmiert“, sagt der Ausländerbeauftragte Von Silke Mertins

Hamburgs Interessenlage ist klar: „Diese Stadt hat mehr bosnische Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich“, hat Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) nachgerechnet. Und zwar vorübergehend. Gestern verriet der Dienstherr der Ausländerbehörde zusammen mit dem Ausländerbeauftragten Günter Apel (SPD), was die Beschlüsse der Innenministerkonferenz für Hamburgs rund 12.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien bedeuten: Der Abschiebestopp wird nicht verlängert, ab Juli läuft auch in der Hansestadt der Countdown für die „Rückführung“.

Während die UN-Flüchtlingskommission und auch einige Aufnahmestaaten wie Schweden auf die Freiwilligkeit der Rückkehr setzen, ist Innensenator Wrocklage sich mit Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) einig, daß staatliche Zwangsmaßnahmen unverzichtbar sind: „Es kann nicht sein, daß die im Kriegsgebiet zurückgebliebenen Alten, Kranken und Schwachen“ die Aufbauarbeit leisten, so Wrocklage. Dennoch setze er auf Freiwilligkeit. So dürfen die Flüchtlinge eine Orientierungsreise unternehmen und wieder zurückkehren. Wenn sie danach aber nicht freiwillig gehen wollen, wird eben Zwang angewendet.

„Ich will nichts beschönigen“, wehrt sich Wrocklage gegen den Vorwurf, Abschiebung in „Rückführung“ umzubenennen und damit zu verharmlosen. „Mit der Bezeichnung wollen wir ein Klima für Rückkehrbereitschaft schaffen“. Und zwar „bei aller Härte der Eckdaten“, die die Innenministerkonferenz beschlossen hat.

Die „AG Rückführung“ bereitet derzeit in der Innenbehörde Mustererlasse für die Ausländerbehörde vor. Alleinstehende Erwachsene und kinderlose Ehepaare werden ab Juli freiwillig oder unfreiwillig „rückgeführt“. Ethnische Zugehörigkeit spielt dabei keine Rolle; Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und auch in Bosnien nunmehr Flüchtlinge sein werden, werden genauso behandelt wie jene, deren Herkunftsort in den ethnisch homogenisierten Teilungsgebieten liegen. Auch bi-ethnische Paare bekommen keine Gnadenfrist. „Ich kann nicht jenseits von Dayton argumentieren“, so Wrocklage, im Friedensvertrag sei ethnische Zugehörigkeit nun mal nicht berücksichtigt.

„Ich hatte Schlimmeres erwartet“, kommentierte der Hamburger Ausländerbeauftragte Günter Apel die Beschlüsse. Traumatisierte Personen, Alte und Auszubildende und Familien mit Kindern bleiben vorerst verschont. Trotzdem ist „der Konflikt programmiert. Diese Menschen haben hier in Hamburg Wurzeln geschlagen“, so Apel. Über 50 Prozent arbeiteten, überdurchschnittlich viele Familien seien unter ihnen. Den Aufstand von SchulkameradInnen, FreundInnen und Verwandten kann Apel sich schon lebhaft vorstellen, wenn im zweiten und dritten Schritt der Rückführung Familien auseinandergerissen werden. Daß die Rückführungsbeschlüsse in Hamburg vollständig umgesetzt werden, „würde mich sehr wundern“.

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