Umfrage unter Katholiken: Rebellion gegen Rom
In der Sankt-Maria-Gemeinde Soltau ist der Pfarrer frustriert von realitätsfernen katholischen Normen - und lässt seine Gemeinde über den Zölibat und die Eucharistie für Geschiedene abstimmen.
SCHNEVERDINGEN taz | Am Hauseingang des katholischen Pfarrers Meik Barwisch im Heideort Schneverdingen fiel zuerst ein „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber ins Auge. Jetzt sitzt Barwisch, 38, mit sechs grauhäuptigen Gläubigen im Gemeindehaus und fischt blassgelbe Hostien aus einer Brotdose, um sie in eine silberne Schale zu füllen: Gottesdienst. Er bitte für diejenigen, die nicht mehr in den Gottesdienst kommen dürfen, weil ihre Beziehung zerbrochen ist, sagt Barwisch im Fürbittgebet. Und für die Menschen, die einen bösen Brief erhalten haben.
Die „bösen Briefe“ kommen von Bischof Norbert Trelle aus Hildesheim, sie müssen von den Gemeindepfarrern an die Katholiken geschickt werden, die aus der Kirche ausgetretenen sind. In den Briefen wird den Ehemaligen anhand ihrer geschwundenen christlichen Rechte vor Augen geführt, dass sie in der Kirche zur Persona non grata abgestiegen sind. Die Ausgetretenen verstießen „gegen die Pflicht, ihre Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren“, so steht es im Kirchlichen Anzeiger für das Bistum Hildesheim.
„Jesus oder Paulus hätten andere Briefe geschrieben, da bin ich mir sicher“, sagt Barwisch dazu. Die Briefe kämen für ihn einer „Zerreißprobe“ mit dem Bistum gleich, ihm sei wichtig, dass seine Gemeinde das wisse.
Barwisch kritisiert die von ihm so betitelte „Realitätsverweigerung“ der katholischen Kirche – auch vor laufenden Kameras: An diesem Wochenende wird er öffentlich die Ergebnisse von 276 Fragebogen vorstellen, die er dem Sommer-Pfarrbrief an die 3.900 Mitglieder der Kirchengemeinde beigelegt hat. Darin fragt er nach ihrer Meinung zum Zölibat oder zu Frauen im Priesteramt. Bis jetzt hat sich das nur eine Hamburger Gemeinde getraut. Michael Lukas, Sprecher des Hildesheimer Bistums, sagt gegenüber der taz, dass die Ergebnisse der Fragebogen zur Kenntnis genommen und geprüft würden.
Im März hatte Barwisch den bischöflichen Toleranzbogen überspannt. Da lud er den österreichischen Kirchenreformer Helmut Schüller zu einer Podiumsdiskussion ein. In seinem „Aufruf zum Ungehorsam“ fordert Schüller unter anderem, dass Frauen und Verheiratete Priester werden und dass Geschiedene am Abendmahl teilnehmen können. Auf Drängen des Bischofs musste Barwisch die Podiumsdiskussion absagen. Man müsse auf Augenhöhe über Probleme sprechen, sagt Bistumssprecher Lukas. Ungehorsam sei da der falsche Weg.
Verstehen kann Pfarrer Barwisch das nicht: Bischoff Trelle habe doch selbst zum Dialog über die „Lebendige Gemeinschaft der Zukunft“ aufgerufen. Immerhin beschloss die Deutsche Bischofskonferenz im September, zumindest darüber nachzudenken, Wiederverheiratete in der Kirche zu beschäftigen und Frauen kirchliche Ämter zu geben.
Die Katholiken der Gemeinde Sankt Maria Soltau sind da schon weiter: So hielt kürzlich ein weibliches Mitglied einen Wortgottesdienst, und Ausgetretene arbeiten als kirchliche Ehrenamtliche. Auch im Gemeindehaus wird an diesem Morgen über das Thema gesprochen. Man ist sich einig, dass es besser ist, für einen Wiedereintritt zu werben, als mit dem tadelnden Zeigefinger zu kommen.
Nach dem Gottesdienst streift sich Barwisch die Stola von den Schultern, hängt sie andächtig über seine Stuhllehne und setzt einen Kaffee auf. „Lebendig“, sagt er, bedeute „rein in die Welt“. Er beugt sich nach vorne. „Ich bin Verfechter des Platzes der Kirche in der Gesellschaft. Sie macht einen großen Fehler, sich so zu isolieren durch diese radikalen Strömungen, die immer mehr aufkommen. Wir kommen um den Zeitgeist nicht rum!“
Barwisch findet es verwunderlich, dass die seiner Meinung nach klaren Weisungen der Bibel von der Kirche ignoriert würden. „Prüft alles und behaltet das Beste“, zitiert er aus dem 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher. Die Kirche müsse sich jeden Tag reformieren, sonst sei sie tot. Barwischs Meinung nach hat die Institution Angst vor jedem neuen Schritt, Angst, „das Heilige“ zu verlieren.
„Es ist alles gar nicht so hoch aufgehängt, wie man immer glaubt, dass es sein sollte“, hat Barwisch in seiner Predigt gesagt. Da ging es um die Apostel und deren rudimentäre Gehversuche als Christen. Auf dem Weg aus der dämmerigen Sankt-Ansgar-Kirche fällt eine bescheidene Holzfigur ins Auge: Ein Mönch hält in einem Arm ein Kind, im anderen ein riesiges Buch, aus dem ein Blumenstrauß wächst.
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