Umbenennung oder nicht: Angst vor der Türkei
Olaf Scholz lehnt Pläne des Bezirk Altona ab, einen Ottensener Platz nach dem Flüchtling Kemal Altun zu benennen. Dabei heißt der Platz inoffiziell längst so.
In Ottensen kennt ihn fast jeder, obwohl er offiziell nicht so heißt: Den Kemal-Altun-Platz. Selbst die Bürgerschaft benutzt den Namen in Anträgen, wenn es um die Vergabe von Mitteln für den Park geht. Auch auf Online-Stadtplänen taucht er auf.
Doch nun weigert sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) dem Ansinnen der Bezirksversammlung Altona nachzukommen, dem Areal der ehemaligen Maschinenfabrik Menck & Hambrock offiziell den Namen Kemal-Altun-Platz zu geben. Altun hatte sich am 30. August 1983 aus Angst vor einer Abschiebung an die türkische Militärjunta aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod gestürzt.
Das Bezirksamt Altona möchte den Vorgang nicht kommentieren. "Es liegt eine Entscheidung vor, aber diese ist vertraulich", sagt Sprecherin Kerstin Godenschwege und verweist an die Senatskommission zur Benennung von Verkehrsflächen der Kulturbehörde. "Bei Kemal Altun gibt es keinen unmittelbaren Bezug zu Hamburg", begründet Stefan Nowicki von der Kulturbehörde die Ablehnung des Benennungsvorschlags von SPD und Grünen und Linkspartei.
Der traditionelle Seilbagger-Hersteller Menck & Hambrock von 1868 muss 1978 in Ottensen Konkurs anmelden. Die Fabrik an der Großen Brunnenstraße und Bergiusstraße wird abgerissen.
Obdachlose und Punks in Zelten okkupieren Anfang 1980 das brachliegende Areal. Es entsteht der erste Bauwagenplatz. Anwohner begrünen das Gelände.
Nach dem Suizid Kemals Altuns in Berlin wird das Gelände 1983 von Anwohner-Initiativen zum Gedenken in Kemal-Altun-Platz umbenannt. Seither wir das Terrain als Park und Spielplatz genutzt.
Hingegen habe die Kommission dem Antrag des Bezirks Nord, den Vorplatz des S-Bahnhofs Landwehr in Ramazan Avci Platz umzubenennen, der 1985 bei einem rechtsradikalen Skinheadüberfall getötet worden ist, zugestimmt. "Das hat der türkische Außenminister sehr begrüßt", sagt Nowicki.
Tatsächlich waren die maßgeblichen Gründe für die Ablehnungsentscheidung von Bürgermeister Scholz die "außenpolitische Bedeutung" des Falls und der "Umstand", dass Altun seinerzeit von der Türkei beschuldigt worden war, an der Ermordung eines Ministers beteiligt gewesen zu sein - was nie bewiesen wurde.
In der Tat war Kemal Altun Aktivist einer türkischen Studentenorganisation, die der späteren Dev Sol (Revolutionäre Linke) nahestand. Als das türkische Militär 1980 putschte und seine Kommilitonen verhaftet wurden, gelang Altun die Flucht nach Deutschland. Sein Tod erreichte mediale Öffentlichkeit. Er war der erste in einer Reihe politischer Flüchtlinge, die seit Sommer 1982 von der Abschiebung bedroht waren.
Bereits 1991 habe es einen Benennungsvorschlag des Bezirks Altona für den Kemal-Altun-Platz gegeben, der vom Senat abgelehnt worden sei, schreibt Kulturbehörden-Staatsrat Niklaus Hill an Bezirksamts-Leiter Jürgen Warmke-Rose (parteilos). Das türkische Generalkonsulat habe im Vorfeld scharf protestiert. "Die offiziellen türkischen Stellen würden auf den aktuellen Benennungsvorschlag im Zweifel genauso reagieren wie seinerzeit", schreibt Hill. "Aus diesen Gründen hat der Erste Bürgermeister entschieden, diesen Vorschlag abzulehnen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier