piwik no script img

Ulrich Schulte über Merkels Auftritt bei Anne WillAngenehm kühl

Ernüchternd und deprimierend“. Angela Merkel liebt bekanntlich eine betont nüchterne Sprache. Doch beim Interview mit Anne Will ließ sie keinen Zweifel daran, wie katastrophal sie das Zerwürfnis des G7-Gipfels in Kanada beurteilt. Der Kanzlerin ist bewusst, dass gerade das Konstrukt des Westens, das Deutschland lange schützte, zur Disposition steht.

US-Präsident Trump zeigt zunehmend autoritäre Züge. In seinem eigenen Land schwächt er Institutionen wie die freie Presse. Und beim G7-Gipfel demonstrierte er drastisch, was er vom Multilateralismus hält: nichts. Dass mehrere Staaten Regeln vereinbaren können, die allen nutzen und die alle binden, widerspricht dem Charakter des Egomanen.

Was hilft gegen Trump? Gegen einen Mann, der Verabredungen mit anderen StaatschefInnen Stunden später per Twitter revidiert? Merkel gibt richtige Antworten. Sie bleibt ruhig und gelassen. Merkel kühlt auch den schlimmsten Eklat auf Betriebs­temperatur herunter, ihr Verzicht auf Zuspitzungen wirkt wohltuend. Auch dass sie demonstrativ den Gesprächskanal zu den USA offen hält, ist richtig. Man gibt nicht 70 Jahre Westbindung auf, nur weil mal eine Zeit lang ein erratischer Immobilientycoon regiert.

Auch Merkels wichtigste Schlussfolgerung stimmt. Wie noch nie kommt es darauf an, dass Europa geschlossen auftritt. Nur eine starke EU kann vermeiden, zwischen den USA, Russland und China zerrieben zu werden.

Doch hier schwächelt Merkels Strategie. Denn um eine einige EU zu fördern, müsste die Kanzlerin Grundsätze ihrer Politik über Bord werfen. Die Ironie ist ja, dass Trump Punkte kritisiert, die auch EU-StaatschefInnen ärgern. Deutschlands Außenhandelsüberschuss stört viele EU-Partner, weil wir uns auf ihre Kosten bereichern. Die Südeuropäer erinnern sich außerdem gut daran, dass Merkel und Schäuble in der Schuldenkrise brutale Sparauflagen durchdrückten. Wenn Merkel eine starke EU will, muss sie mehr tun. Sie muss den Deutschen erklären, dass europäisches Engagement teuer ist. Nur wer selbst solidarisch ist, bekommt Solidarität zurück.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen