Überfischung: EU fordert leere Netze
Weniger Dorsch und noch viel weniger Hering dürfen 2009 in der Ostsee gefangen werden. Küstenfischer sorgen sich um ihre Lebensgrundlage. Große Trawler können in andere Fanggebiete ausweichen
Das morgendliche Tuckern kleiner Fischkutter an den norddeutschen Küsten könnte bald verstummen, sollte die EU-Kommission ihre Pläne zum Fischfang für 2009 durchsetzen. Diese sehen vor, die Fischfangquote von Dorsch und Hering in der westlichen Ostsee drastisch zu reduzieren. So sollen zukünftig nur noch 16.400 Tonnen Hering gefangen werden - das sind 63 Prozent weniger als in diesem Jahr. Die Fangquote von Dorsch hingegen soll nur um 15 Prozent reduziert werden, so dass 2009 höchstens 16.337 Tonnen in deutschen Stellnetzen landen dürfen.
Die Einschränkungen träfen neben Schleswig-Holstein wäre vor allem Mecklenburg-Vorpommern. Rund 500 Kutter fahren hier Tag für Tag in die Ostsee. Die kleinen Besatzungen fangen und verarbeiten den Fisch, um ihn im Anschluss frisch zu verkaufen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums könnten die haupterwerblichen Fischer bereits heute nicht mehr ohne das touristische Nebengeschäft existieren. Die geplante Quotenkürzung sei daher eine wirtschaftliche Katastrophe.
Denn während größere Fahrzeuge ab einer Länge von zwölf Metern ihr Fanggebiet über die westliche Ostsee hinaus ausweiten können, bleibt den Kutter- und Küstenfischern nur das Umsatteln auf andere Erwerbsbereiche. Auf die geplante Quotenreduzierung reagiert Schwerin deshalb verbittert. "Das ist vollkommen inakzeptabel", kommentiert der Landwirtschaftsminister Till Backhaus die Mitteilung der EU-Kommission.
Auch in Schleswig-Holstein wächst die Sorge um die etwa 400 Küstenfischer. "Die Kürzungen sind dramatisch - wir hätten uns eine maßvollere Reduzierung gewünscht", sagt Michael von Abercron vom Landwirtschaftsministerium. Zwar erkennt die Behörde den Handlungsbedarf, den schrumpfende Fischpopulationen erzeugen. Eine Quotenreduzierung sei aber kein Allheilmittel.
"Der Grund für den schlechten Heringsbestand in der westlichen Ostsee ist der fehlende Nachwuchs", sagt Martin Momme, Fischerei-Referent im Ministerium. Allerdings führt er dies nicht auf eine Überfischung, sondern auf die Umweltbedingungen zurück. "Selbst wenn es keine Fischerei gäbe, könnte man erwarten, dass der Bestand abnimmt", sagt Momme.
Eine ähnliche Entwicklung deutet sich derzeit beim Dorsch an. Während sich der Bestand in der östlichen Ostsee durch Fischfangquoten erholt hat, sinkt der Bestand westlich von Bornholm dramatisch. Gab es 2007 noch 28.000 Tonnen Dorsch vor den Küsten Norddeutschlands, schätzt man den diesjährigen Bestand auf rund 22.000 Tonnen.
"Dabei sind Dorsche eigentlich hochproduktive Tiere", sagt die Ostsee-Expertin Karoline Schacht von der Naturschutzorganisation WWF. Das Problem seien weniger ungünstige Umweltbedingungen als vielmehr das übertriebene Abfischen der alten Weibchen.
Die bittere Folge seien immer weniger und immer schwächere Nachkommen. Den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission bewertet Schacht daher als "sehr angemessen". Es sei selten, so Schacht, dass sich die Kommission die Ratschläge der Wissenschaft zu Herzen nehme.
Allerdings dürfe bei der Reduzierung der Fischquote nicht vergessen werden, die Fangmaßgaben anzupassen. "Wir brauchen eine Angleichung der Größe von Netzen und Fischen", sagt sie. Die WWF-Sprecherin beklagt, dass zu viele junge Fische in den engen Netzen landeten - bevor sie überhaupt eine Chance hätten, sich fortzupflanzen. "Es werden zu viele kleine Dorsche angelandet, die eigentlich gar nicht gefangen werden dürfen", sagt Schacht. Unterschreiten die Tiere die Größe von 38 Zentimetern, würden die Fischer sie einfach wieder ins Meer werfen.
Dass es dem Fischbestand in der westlichen Ostsee nicht gut geht, sieht auch Lothar Fischer vom Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischerei ein. Allerdings stört ihn das Vorsorgeprinzip des EU-Vorschlags. "Was nützt es dem Fischer von heute, wenn der Fisch in zehn Jahren wieder da ist?", fragt er sich. Dem Plan der Kommission, Hering um 63 Prozent und Dorsch um 15 Prozent zu reduzieren, wirft Fischer eine gewisse "Radikalität" vor.
Seine Hoffnungen setzt der Verbandssprecher deshalb in Gespräche zwischen Experten der EU sowie Vertretern aus Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein am 17. September in Brüssel. "Es ist wichtig, dass die norddeutschen Länder mit einer Stimme sprechen", kommentiert wiederum Michael von Abercron vom Kieler Landwirtschaftsministerium das geplante Treffen. Die endgültige Entscheidung über die von der Kommission vorgeschlagene Quotenreduzierung fällen die Fischereiminister der 27 EU-Mitgliedstaaten allerdings erst im Oktober.
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