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Archiv-Artikel

Überfällige Entlarvung einer Kölner Lebenslüge

Bei der „Arisierung“ jüdischen Eigentums während der NS-Zeit ging man in Köln eifriger und rücksichtsloser vor als in anderen Städten. Die Historikerin Britta Bopf zeigt in ihrem gestern im EL-DE-Haus vorgestellten Buch „‘Arisierung‘ in Köln“, dass viele vom staatlich organisierten Raubzug profitierten

Die Stadt Köln gehörte zu den wichtigsten Nutznießern der „Immobilienarisierung“

von Ingo Niebel

Jahrelang lebten die Kölner mit der Nachkriegslüge, wonach die Nazis in der Domstadt einen schlechteren Stand gehabt hätten als andernorts, weil NS-Ideologie und liberale, kölsche Lebensart unvereinbar gewesen wären. Gestern wurde dieses Geschichtsbild erneut widerlegt, als der Leiter des NS-Dokumentationszentrums, Werner Jung, in seinem Institut das Buch „‘Arisierung‘ in Köln“ von Britta Bopf vorstellte. Die Bonner Historikerin kommt darin zu dem Schluss, dass „die Abdrängung der Kölner Juden aus Erwerbsleben und Unternehmertum 1938 zum Großteil bereits erfolgt war“ – also schon bevor der NS-Staat diese Maßnahme gesetzlich verlangte.

Der Ort der Buchvorstellung hätte nicht besser gewählt sein können, da sich das NS-Dokumentationszentrum in der ehemaligen Gestapo-Zentrale befindet. Die Geheime Staatspolizei half tatkräftig, damit jüdische Kölner ihren Besitz spottbillig an „arische“ Mitbürger veräußerten. So nahm sie 1933 Raphael Brenner in „Schutzhaft“ und zwang den Besitzer des gleichnamigen Fotogeschäfts, den Verkaufspreis für seine Firma von 200.000 Reichsmark auf 60.000 RM zu reduzieren.

Das ist einer von vielen Fällen, die Bopf untersucht hat. Der Historikerin ging es jedoch nicht um das Erzählen von „Arisierungs“-Schicksalen. Vielmehr hat sie in ihrer 430 Seiten starken Dissertation erforscht, wie die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden in der Zeit von 1933 bis 1945 in Köln verlief. Den Begriff „Arisierung“ setzt Bopf bewusst in Anführungszeichen, weil er dem Nazi-Vokabular entstammt. Er beschönigt „jeglichen Eigentumstransfer von jüdischem in nicht-jüdischen Besitz und die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschafts- und Erwerbsleben“. Es geht schlicht um den legalisierten Raubzug gegen reiche wie arme Juden. Die Beute umfasste einfach alles: von Socken und Besteck über Wohnungseinrichtungen bis hin zu Geld, Versicherungspolicen und Aktienpaketen, Immobilien und Firmen.

Gesetze und Verordnungen gaben diesem Beutezug eine „legale“, schwer durchschaubare Fassade, hinter der sich „ehrenwerte“ Bürger nach 1945 verschanzten. Zu ihnen zählt der Kölner Unternehmer und Träger des Bundesverdienstkreuzes, Otto Wolff von Amerongen, den der Journalist Werner Rügemer in seinem WDR-Film als einen „Hehler für Hitler“ anprangerte, der Aktienpakete aus jüdischem Besitz ins Ausland verschoben haben soll. Mit den Erlösen finanzierte das NS-Regime Aufrüstung und Krieg.

Britta Bopf beschreibt chronologisch die Etappen der „Arisierung“. Sie begann im April 1933 mit dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte und trat im November 1941 in ihre Endphase, als per Verordnung der noch existierende jüdische Besitz dem Staat zufiel. Dem „Finanztod“ folgte der physische in den Vernichtungslagern, so das Fazit des Autorin.

Die Kölner spielten auf lokaler Ebene eine Vorreiterrolle. Sie setzten die politischen Vorgaben zum Nachteil der Juden rascher und gnadenloser um als andernorts. Dabei ignorierten sie sogar gegenteilige Anweisungen der Gestapo aus Berlin. Detailliert schildert Bopf, wie verschiedene Parteistellen, Behörden, Stadt und Privatleute in Köln zusammen arbeiteten, um sich jüdisches Eigentum anzueignen.

Hierbei kam der Industrie- und Handelskammer (IHK) eine besondere Rolle zu. Ihr Geschäftsführer Karl Georg Schmidt war gleichzeitig „Gauwirtschaftsberater“ der NSDAP und Kölner Oberbürgermeister (1936-1940). Bopf zeigt, wie der „Multifunktionär“ seine Position zur Beschleunigung von „Arisierungen“ einsetzte. Die Stadt Köln gehörte zu den wichtigsten Nutznießern der „Immobilienarisierung“. Ihr Gesundheitsamt befindet sich seit 1939 in einem „arisierten“ Gebäude am Neumarkt.

Ein Problem für die Historikerin waren die fehlenden Quellen. 1944/45 vernichteten die Kölner Nazis fast alle kompromittierenden Unterlagen. Aber im Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf fand Bopf 21.500 Rückerstattungsakten mit Köln-Bezug. Der Bestand aus der Nachkriegszeit offenbart die Bandbreite der „Arisierungs“-Profiteure: „vom kleinen Metzger bis zum Großunternehmer, vom Fürsorgeempfänger bis zum Oberbürgermeister.“

Bopfs Studie ist für die geschichtswissenschaftliche Arbeit in Köln von großem Wert. 70 Jahre nach Beginn der „Arisierung“ liegt endlich ein wissenschaftlich fundiertes Werk über den größten staatlich legalisierten Raubzug aller Zeiten in der Domstadt vor. Dankenswert ist, dass Bopf das Handeln der Kölner „Arisierer“ mit anderen Städten vergleicht. Damit durchbricht sie die traditionell auf Köln beschränkte Sichtweise hiesiger Publikationen und definiert einen neuen Maßstab für die Kölner Geschichtswissenschaft. Forscher finden in dem neuen Standardwerk zur „Arisierung“ in Köln einen kompetenten Wegweiser für Einzelfallstudien, die noch so manche Kölner Lebenslüge entlarven können.

Britta Bopf: „Arisierung“ in Köln. Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden 1933-1945. Emons Verlag 2004, 28 Euro, ISBN 389705311-X