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Über die Langeweile des Eindeutigen

■ Kalt entwurzelt: Die belgische Theatercompagnie Maten vom „Monty“ in Antwerpen spielt zwei kurze Monologe von Witold Gombrowicz und Arnon Grunberg

Nichts ist heutzutage ja uninteressanter geworden als das Eindeutige. Weil die Eindeutigen nichts mehr verstehen, geschweige denn erklären können, nur noch ratlos dem Lauf der Dinge hinterherhecheln und dabei oft auch noch die Orientierung verlieren – verkennend, daß es sich bei besagtem Lauf eigentlich längst um Läufe handelt, parallele und entgegengesetzte, Quer-, Krumm-, Unter- und Kreisläufe. Wer diese nicht differenzieren, also in Kontexten und Einzelfällen sehen, ja noch nicht mal erahnen und befürchten kann, wird schnell zum Gedankenpolizisten, zum Anwalt der vermeintlich Aufrechten, Guten und Gesinnungsreinen, zum Verfechter von politischen und gesellschaftlichen Tabuisierungen, von letztlich stalinistischen Sprachregelungen; kurz: zum „politisch Korrekten“. Das ist mittlerweile zwar schon wieder so in, daß die meisten, die es insgeheim sind, schon wieder abstreiten. Leicht zu erkennen sind sie aber dennoch: an der Langeweile, die sie ausstrahlen, mit der sie jedes Positions- und Gedankenexperiment zu Fall bringen zu müssen glauben.

Waas Gramser, Mitglied der neuen belgischen Theatercomagnie Maten, glaubt, in den Texten des polnischen Schriftstellers Witold Gombrowicz (1904-1969) eine nicht nur schon sehr früh, sondern zu dem noch brillant satirisch ausformulierte Gegnerschaft zur sich scheinbar doch erst heute und so ganz aktuell aufdrängenden Uniformierung des Denkens zu finden. „Ich bin mir nie ganz sicher, ob ich Gombrowicz wirklich für einen Zyniker halten soll“, sagt er. Wiedergefunden habe er sich jedenfalls beim Lesen der Erzählung Die Erinnerungen des Stefan Czarniecki, die jetzt eine der beiden Grundlagen des zweiteiligen kleinen Theaterprojektes seiner Gruppe ausmacht – auch wenn ihm nie wirklich klargeworden sei, auf welcher Seite der Autor eigentlich steht. „Ich kann mir vorstellen, daß jede einzelne seiner Aussagen zehn völlig verschiedene Reaktionen provozieren kann.“ Und das Schöne daran: es sei noch nicht einmal klar, was Gombrowicz ernst meine und was nun gerade nicht.

Das Annehmen und Ablegen von Rollen, Masken und Positionen, das Theatralische schlechthin also gilt dem polnischen Dramatiker und Romancier als Grundprinzip menschlichen Verhaltens. „Menschen“, schreibt er in seinen späten, berühmt gewordenen Tagebüchern, „die sich ausschließlich auf das Streben nach Wahrheit konzentrieren, sprechen prätentiös und unwirklich; ihre leblose Rede ist nicht angenehm, sondern sägend. Aber die, die sich auf die Kunst verstehen, jemanden einzunehmen, für die eine Diskussion Arbeiten und Spielen gleichzeitig ist, die arbeiten um zu spielen und spielen um zu arbeiten, die werden sich nicht niederdrücken lassen; ihrem Gedankenaustausch werden Flügel wachsen, er wird prickeln vor Charme, Leidenschaft und Poesie, und er wird – was das Wichtigste ist – unabhängig von seinem Ergebnis ein Triumph werden. Denn selbst eine Dummheit, selbst eine Unwahrheit schlägt Dich nicht aus dem Feld, wenn Du damit spielen kannst. Wahrheit wird nicht in einem abstrakten Turnier geboren, sondern in einem Kampf zwischen Menschen.“

In den Erinnerungen des Stefan Czarniecki erzählt Gombrowicz – der selber 24 Jahre im argentinischen Exil lebte - von einem zerstörten Mann; einem Außenseiter, in dem sich Kälte und Ignoranz der Außenwelt spiegelt. Der Text ist eine andere Auseinandersetzung mit Rassismus, jenseits – oder besser: noch diesseits – der aus der öffentlichen Diskussion“ heute altbekannten Bekenntnismuster. Verbunden hat Maten diese Erzählung mit einer zweiten, Die Tage von Leopold Mangelmann von Arnon Grunberg. Darin fanden die Belgier eine ganz ähnliche Beziehungsstruktur zwischen einer fanatisch orthodoxen Mutter, einem Vater, dem alles gleichgültig ist, und einem entwurzelten Sohn.

Gemeinsam mit Waas Gramser bilden Adrienne Althaus, Guy Cassiers und Kris Van Trier den „harten Kern“ der flämischen Comagnie, die aus der in Hamburg bereits bekannten Toneelgroep Stan hervorgegangen ist. Anfang des vergangenen Jahres brachten die Vier eine Produktion von Shakespeares Maß für Maß unter dem Titel Maten heraus – und als sie anschließend beschlossen, zusammenzubleiben und eine eigene neue Truppe zu gründen, löste sich die Frage nach deren Namen praktisch von selbst.

Daß es in Holland und Belgien dabei leichter ist als in Deutschland, eine Compagnie „einfach mal so“ zu gründen und auch zu finanzieren, liegt an der grundsätzlich unterschiedlichen, immer auf die Arbeit von Gruppen und Ensembles und weniger auf die Subventionierung „zu bespielender“ Häuser angelegten Theaterstruktur. Jüngstes Maten-Projekt ist eine Radikalversion von Schillers Don Carlos: Vier Schauspieler in sieben Rollen mit einer Mütze, einer Perücke und sieben Holzmöbeln; das ganze dauert keine Stunde.

mpe

Maten: Witold Gombrowicz, De memoires van Stefan Czarniecki/ Arnon Grunberg, De dagen von Leopold Mangelmann. Eine Produktion des Monty, Antwerpen. In deutscher und englischer Sprache. 29. und 30. April, 21 Uhr, K 2.

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