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Aus taz FUTURZWEI

Über den Kampf gegen das Lachen Witz bleib drin, du bist umzingelt!

Der Trend des Jahres: Nicht lachen. Aber ein Kulturkampf gegen die Satire als wildeste Tochter der Aufklärung ist ein Angriff auf den Universalismus selbst.

Foto: dpa

Von ARNO FRANK

Wer nicht lacht, gewinnt. Das ist das Prinzip von LOL – Last One Laughing, der erfolgreichsten Show aus Deutschland, die es bei Amazon je zu sehen gab.

Professionelle Spaßmacher wie Carolin Kebekus, Torsten Sträter, Kurt Krömer, Bastian Pastewka oder Anke Engelke sind in einer „Big Brother”-Situation ihrem eigenen Handwerk ausgesetzt. Ein Gong signalisiert, dass es nun witzig wird – und eine Spezialistin ihre Instrumente auspackt. Furzgeräusche, Grimassen, Parodien, Gags. Wer sich zu einer menschlichen Situation verleiten lässt, fliegt raus.

Es handelt also das populärste Comedy-Format unserer Zeit davon, dass man nicht lachen darf. Das heißt, gelacht werden darf schon – nur eben zu Hause. Wer sich auf dem Bildschirm dem Experiment aussetzt, dem ist es verboten. Daraus bezieht die Sendung ihre Spannung. »Wenn keiner lacht, das ist die Hölle«, sagt einer der Teilnehmer, Rick Kavanian. Kollegin Barbara Schöneberger hofft, »dass der Zuschauer auch sieht, was das für ein inneres Leiden und eine innere Quälerei bedeutet.«

Wer worüber Späße machen darf, wird gerade neu verhandelt

Tatsächlich steht der Humor nicht nur in Deutschland seit einer ganzen Weile unter verschärfter Beobachtung von Aktivistinnen und Aktivisten, die sehr genau darüber wachen, wer worüber da so seine Späße treibt – und gegebenenfalls sofort Meldung machen in den »sozialen« Medien, wo privater Frust rasch zum Furor und noch schneller zum Sturm der Entrüstung wird. Witz, bleib drin, du bist umzingelt!

Wer worüber Späße machen – und wer darüber lachen – darf, wird gerade neu verhandelt. In gewisser Weise verhandelt es sich sogar selbst.

Bastian Pastewka, ein Kenner und langjähriger Beobachter der Szene, sieht das ganze Genre an einer »Zeitenwende«. Pastewka selbst hatte einst Figuren wie den »Rosen-Inder« erfunden oder eine »queere« Witzfigur verkörpert, noch bevor es den Begriff »queer« überhaupt gab. Beides, räumt er ein, wäre heute nicht mehr möglich. Und vielleicht auch gar nicht nötig. Einerseits.

Der mühselige Wiederaufbau des deutschen Humors

Andererseits ist der begnadete Comedian Dave Chapelle unter Beschuss, weil er Gewalt gegen Schwarze mit Gewalt gegen Transpersonen verglichen hat; ist das Urgestein John Cleese von Monty Python genötigt, mit Cancel Me eine ganze Sendereihe der Frage zu widmen, wer sich wovon verletzt fühlt, was überhaupt noch belächelt werden darf; wird die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart öffentlich zur Faschistin erklärt, weil sie sich scharfe Sentenzen erlaubt hatte; ist die Titanic, sogar ausweislich der Meinung früherer Chefredakteure, auch nicht mehr »so lustig wie früher«; und könnte sich Michael »Bully« Herbig, Schöpfer von »LOL«, für seinen gigantischen Kinohit Der Schuh des Manitu heute mal warm anziehen – Stichwort: Homophobie, Stichwort: »cultural appropriation«. Und das ist gerade mal zwei Jahrzehnte her.

Im Ausland hält sich hartnäckig das Gerücht, »die Deutschen« hätten keinen Humor. Wie alle Gerüchte hat auch dieses einen wahren Kern. Man muss es nur im trübsinnigen Licht der Nachkriegsjahrzehnte betrachten. Jüdischer Witz war entweder ausgewandert oder ermordet. Und ein Heinz Erhardt jedenfalls reimte nicht ohne Grund auf kindlichem Niveau und ebenso flach, wie sein Publikum nach dem verlorenen Weltkrieg den Ball zu halten bemüht war. Es haben damals auch unsere Nachbarn wohl kaum auf hintersinnige Gags aus einem Deutschland gewartet, das kurz zuvor noch den ganzen Erdteil verheert hatte. Don’t mention the war!

Der Wiederaufbau war mühselig. Er ging Hand in Hand mit der Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer), den Achtundsechzigern und der Neuen Frankfurter Schule (Eilert, Bernstein, Gernhardt, Knorr, Poth, Traxler, Henscheid, Waechter), von wo eine direkte Linie zur Neuen Albernheit führt. Erst in den Siebzigerjahren kam der originäre Quatsch wieder zu seinem Recht. Er wurzelte in einer politischen Satire, die alle staatstragende Inhaltsschwere abgeworfen hatte. Klimbim!

Satire als Brille, durch die das Reale erst kenntlich wird

Bastian Pastewka hat einmal darauf hingewiesen, wie weit und öde die Wüste war, bevor in den Achtzigerjahren die Komödien von Didi, Otto oder Loriot kamen. Die einzige nennenswerte Satire aus deutscher Produktion kam 1959 in die Kinos, um sogleich wieder zu verschwinden: Rosen für den Staatsanwalt verhandelte die Zustände einer ungebrochen faschistoiden Justiz in der Ära Adenauer. Too soon!

Spätestens mit dem Privatfernsehen kehrte ein humoristischer Wildwuchs ein, wie ihn der Humor braucht. Klamauk geht immer, im Kino, auf Papier und in der Glotze. Zynismus kam und ging, Ironie kam und war dann auch schnell mal over.

Neuerdings, und auch hier liegt die »westliche Welt« weitgehend gleichauf, wird Satire als taugliche Brille wahrgenommen, durch die das Reale erst kenntlich wird. Sendungen wie die von John Stewart oder John Oliver legten auf dem Weg zur bitteren Punchline immer häufiger offen, »was der Fall ist«. Irgendwann, so zeigten Studien, wurden sie als seriösere Nachrichten wahrgenommen als die angeblich seriösen Nachrichten. Und irgendwann waren die Pointen nur noch Vehikel, um Missstände möglichst unterhaltsam unters Volk zu bringen.

Verunsicherung im Weinberg des Kicherns

In Deutschland erledigt die heute show diesen Job, in konzentrierterer Form auch Jan Böhmermann mit dem ZDF Magazin Royale, das er selbst ganz bewusst in ideeller Nachfolge des politischen ZDF-Magazin mit Gerhard Löwenthal verstanden wissen will. Das Ergebnis ist bisweilen Sozialkundefernsehen mit einem außerordentlich motivierten und sehr gutgelaunten Lehrer. »Quatsch« ist in dieser Sendung nur noch Mittel zum Zweck – oder kokette Behauptung.

Bemerkbar macht sich die Zeitenwende als Verunsicherung vieler Arbeiterinnen und Arbeiter im Weinberg des Kicherns, deren alte Methoden allmählich nicht mehr gefragt sind. Sie werden dann schnell grundsätzlich – und damit ernst, also: nicht mehr witzig. Zu beobachten ist das bei einem Dieter Hallervorden, einem Dieter Nuhr oder sogar Dave Chapelle. Recht haben zu wollen ist etwas anderes als lustig sein zu wollen. Beides zusammen geht nicht.

Es scheint wirklich eine neue Generation von Menschen aufzuwachsen, bereits aufgewachsen zu sein (das geht ja schneller, als man gucken kann!), sogenannte millenials, die zur Premiere von Der Schuh des Manitu nicht einmal auf der Welt waren, die neue moralische Maßstäbe anlegen an: alles. Die Vergangenheit, die Gegenwart, die Sprache und eben den Witz. Wichtig ist die »Sprecherposition«, wichtig ist der Adressat des Witzes – und ob der mit der Pointe einverstanden ist. Schlimmstenfalls ist er nämlich davon verletzt.

Kulturkampf auf Ebene der Symbole

Und weil immer mehr »obskure Minderheiten« (Sahra Wagenknecht) sich in einer immer progressiveren Gesellschaft immer dringlicher Gehör verschaffen, stehen die Fettnäpfchen plötzlich überall. Umgekehrt, aus Sicht eines für alle denkbaren Formen von Diskriminierungen sensibilisierten Publikums, sind die Verhältnisse schon länger untragbar.

Über einen Helmut Schleich, der sich für den Bayerischen Rundfunk das Gesicht schwarz anmalt, geht dann nicht einfach die Zeit hinweg. Sie wird ihm aktiv entzogen. Und wenn eine Figur wie Apu aus den Simpsons plötzlich von indischstämmigen US-Amerikanern und -Amerikanerinnen als diskriminierend empfunden wird, könnte das auch ein zivilisatorischer Fortschritt sein. Dann sind Blondinenwitze einfach nicht mehr witzig und Polenwitz reichlich gestrig.

So geht Kulturkampf auf Ebene der Symbole, ganz bequem vom heimischen Rechner aus. Und so müssen das Denkmal geschleift und der Kanon gestrichen werden. Für eine neue, bessere Welt. Deren erster Entwurf ist notwendigerweise eindimensional. Für Kontext, Absicht oder Hintersinn ist auf diesem Papier kein Platz.

Den Witz mit allen Mitteln moderner Druckerzeugung problematisieren

Dabei war noch nie jemand genötigt, beispielsweise South Park zu verstehen, witzig zu finden oder auch nur einzuschalten. Immer häufiger aber fühlen sich Betroffene berufen, den Witz an der Quelle zu unterbinden – und seine Urheber, wenn nicht zu »canceln«, so doch mit allen Mitteln moderner Druckerzeugung zu problematisieren.

Ein Angriff auf die Satire als wildeste Tochter der Aufklärung aber ist ein Angriff auf den Universalismus selbst.

Vom Club in New York bis zur Karnevalssitzung in Mainz wird die alte Vereinbarung zwischen Künstlerinnen und Künstlern und Publikum aufgekündigt, sich in einem Ausnahmeraum der Uneigentlichkeit zu treffen. Alles ist im Netz und damit überall, und so wird noch die albernste Zote zur Ware auf dem globalen Empörungsmarkt.

Wer nicht lacht, verliert

Nun leuchtet ein, dass eine neue Generation den Humor der Alten ranzig und unangebracht finden kann. Zumal sie in eine Zukunft blickt, in der es vermutlich wirklich wenig zu lachen geben wird. Umso wichtiger wäre ein Notausgang ins Gackern. Einfach, um nicht wahnsinnig zu werden.

Lachen war immer, auch in bedeutend dunkleren Zeiten, ein Ventil für Unbehagen an den Verhältnissen. Es mag nicht recht einleuchten, wie ausgerechnet eine Schließung dieser Ventile die Verhältnisse aufhellen sollte. Geist, heißt es, ist nur Dummheit in Bewegung. Stillstand aber wäre der Tod.

Wer nicht lacht, verliert.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°19 erschienen.