■ Über das Eigenständige der DDR-Kultur: Das Vitale, das hier zwischen den Ruinen aufersteht, hat einen starken Reiz: Schwarzer, schillernder Osten
Im Roten Salon ist es so wie in Bukarest. Man schwebt halb über der Stadt, in zerschlissenen roten Sesseln; rechts öffnet sich durch große Fensterscheiben der sozialistische Wohnungsbau. Es ist immer Nacht. Fahles gelbes Licht der Straßenlampen dringt von fern durch die Fenster herein, es hinterläßt bläuliche und grünliche Schemen an den Plattenfassaden. Im Roten Salon ist alles rot. Manchmal gehen schummrige Lichter an, die nicht sonderlich groß sind, und auch die sind rot. Das wirft die Dinge und Menschen in einen eigenartigen Schlagschatten, dumpf kämpft der Holzfußboden dagegen an und die matte Wand, an der sich vereinzelt nackte technische Geräte befinden. Das hätte alles auch 1950 so sein können. Ein östlicher Lebensdrang zieht durch diesen Seitentrakt der „Volksbühne“. Das Rot erzeugt, langsam abbröckelnd, eine trotzige Patina.
Über der „Volksbühne“ prangen groß drei Buchstaben, und die sind ein Programm: OST. Diese drei Buchstaben stehen für eine Klarheit, die ansonsten nicht zu haben ist, für die Lust nach klar umrissenen Fronten. Der Grundgestus der „Volksbühne“ ist der der lustvollen Zerstörung. Ob diese Lust auch positiv zu besetzen ist, steht gar nicht zur Debatte. Der DDR-Drill, das Preußisch-Militante, wechselt hier hinüber in das Grelle, Schrille, das Kreischende und Jaulende. Wo in der DDR die Utopie nur eine häßliche Karikatur war, wird nun im Theater jegliche Vorstellung von Utopie aggressiv verlacht. Links und rechts sind für den Intendanten Castorf keine sonderlich relevanten Unterscheidungskriterien mehr; auch deutsche, rechte Ideologien konnten „separatistische Bewegungen“ sein, und für Castorf ist es heute so: „Die DDR ist eine separatistische Bewegung!“
Diese Haltung stößt im Westen auf ein Milieu, das manchmal ähnliche Worte braucht, sie aber ganz anders meint. Die Verachtung, die die Kinder von 1989 dem Gegebenen entgegenbringen, läßt sich mit den Gesten der 68er im Westen nicht vereinbaren: Diese ergingen sich im weiteren Fortgang der alten Bundesrepublik immer mehr im Verspielten, Selbstbezüglichen und Ironisch-Leichten. Genau daran stößt sich die letzte Generation, die im Osten heranwuchs, und auch die ernste, deutsche PDS findet dadurch ein Potential. Die Argumentationsmuster der Liberalen, der Altbundesdeutschen wirken hier vor allem „schwammig“. Man will Klartext. Man will Berliner Pilsner und keinen italienischen Weißwein.
Ein intellektueller Grundkonflikt zwischen Ost und West zeigt sich darin, daß es in der Spät- und Post-DDR eine frapppierende Renaissance Ernst Jüngers gab. Im westlichen, linksliberal geprägten Kulturmilieu war Jünger eine Persona non grata. In der DDR jedoch entdeckte man bei diesem militanten Käfersammler etwas Existentielles: Heiner Müller, Frank Castorf natürlich, auch Durs Grünbein und Reinhard Jirgl und der Sinn und Form-Chefredakteur Sebastian Kleinschmidt verweisen auf die Wirkung der Jünger-Lektüre. Die DDR muß ein günstiges Pflaster für so etwas gewesen sein: Bei Ernst Jünger verbindet sich die amoralische Sehnsucht nach dem Solitär, nach der Elite, die radikale Absage an das rational handelnde Kollektiv mit seiner seltsamen Betulichkeit, mit dem Stil des neunzehnten Jahrhunderts. Die untergründige Verbindung zwischen Ernst Jünger und der DDR liegt im Deutschtum. Die DDR war weniger ein sozialistischer als vielmehr ein deutscher Staat, hier hat der Mief dessen, was man im Westen mit der Adenauer-Zeit verbindet, bis in die neunziger Jahre ungelüftet weiterbestanden. Die Militanz der DDR-Subkultur, die Verachtung alles „Bürgerlichen“, hat eine ungeahnte Parallele in der Welthaltung Ernst Jüngers: Was diesem die langweilige, kleinkrämerische Gesellschaft der Weimarer Republik war, ist jenen der importierte Kapitalismus aus der Bundesrepublik.
Frank Castorf hat in einer berühmt gewordenen Sequenz einmal die Stimmung geschildert, die ihn damals im DDR-Stillstand in der Theaterkantine in Karl-Marx- Stadt überfiel. Es ist die Stimmung der wertezertrümmernden letzten DDR-Generation wie auch jene, die die Zerfallserscheinungen des 68er-Milieus bloßstellt. Das, was herrscht, wird als dekadent empfunden. „Wir brauchen faschistoide, vitale Gedankengänge, dachte ich, daß man sich sehnt nach etwas, was Bewegung heißt. Man muß den Leuten die Affirmationssucht nehmen.“ Der Faschismus ist natürlich bloß ein Zitat, und wenn, dann möchte die Kunst sich eher an die Fasson Mussolinis halten, die futuristisch-verrückte, und an Politik gar nicht denken. Der neue DDR-Zynismus, die teils lustvoll-schockierende, teils wagenburgartige Bekämpfung des Westens möchte mit Geschichte nichts mehr zu schaffen haben.
In der DDR hat es das nicht gegeben, wofür im Westen das Jahr 1968 steht: eine Subjektivierung, eine bürgerliche Selbstfindung. Es gibt ein vergleichbares Aufbegehren, doch die Gegenbilder sind andere. Die Utopien, der Strand unter den Pflastersteinen, die Phantasie, die an die Macht kommen soll: diese Vorstellungen sind von jenen besetzt, die mittlerweile die kulturelle und gesellschaftliche Hegemonie bilden; „Aufklärung“ scheint keinen Sinn mehr zu haben. Die Bilder dafür liefert nicht nur die jämmerliche Sozialdemokratie. Es ist eine umfassendere Dekadenz, die im Westen ausgemacht werden kann. Was sich in der Post-DDR tut, hat zum Teil durchaus Parallelen zu dem Aufbruch der 68er, mit einem Aufbegehren gegen die alten Väter. Doch die Katze beißt sich nun in den Schwanz.
Das Vitale, das hier zwischen Ruinen aufersteht, hat einen starken Reiz. Im Aufbrechen der alten DDR wurden Energien freigesetzt, die auf nur noch müde Zirkulationsbewegungen in Westberlin stoßen. Die Brutstätten des neuen deutschen Gefühls und der Härte liegen schon längst in Mitte und in Prenzlauer Berg, beileibe nicht mehr in Kreuzberg oder gar Charlottenburg. So, wie in den ostdeutschen Fernsehhaushalten die Nachmittags-Talk-Shows auf RTL unangefochten an erster Stelle stehen, hat auch die Szene jeglichen kulturellen Ballast über Bord geworfen.
Es entsteht etwas Neues, und es ist nicht genau zu sagen, wohin es will. Eine Ausformung hat der Osten dafür schon gefunden: es ist die Erscheinung Heiner Müllers. In seinem schwarzen Anzug, mit der schwarzen Brille und der schwarzen Zigarre ist er zum Sinnbild geworden. In Heiner Müllers schwarzem Schweigen steht, bisher unentziffert, die deutsche Zukunft. Helmut Böttiger
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