Über Klimakrise und Investitionsentscheidungen : »Ein ultrakapitalistisches Vehikel«
Kann Wagniskapital die Welt retten? Lena Thiede und Tobias Seikel vom Venturecapital-Unternehmen Planet A im taz FUTURZWEI-Gespräch.
taz FUTURZWEI: Frau Thiede, Herr Seikel, gibt es einen Kapitalismus, der aufhört, Natur zu zerstören?
Lena Thiede: Wir haben ja mit Wagniskapital ein ultrakapitalistisches Vehikel gewählt, und das haben wir nicht gemacht, weil wir schon immer mal einen Fonds raisen wollten, sondern weil wir überlegt haben: Was braucht es tatsächlich, um Innovation schneller auf die Schiene zu bringen, da wir nur dieses begrenzte Zeitfenster haben, um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben und gleichzeitig auch die dahinterliegende größere Ökosystemkrise zu adressieren.
Tobias Seikel: Neben dem Zeitproblem haben wir uns für das Mittel des Fonds entschieden, weil dieses Gefäß bekannt ist und Leute sowieso schon viel Geld investieren. Nun sitzen wir zwischen den Unternehmen und den anderen Investoren, und zwar mit unseren Kriterien, die deutlich härter sind, weil sie auch die ökologische Wirkung einpreisen und schauen: Was trägt denn wirklich zur Lösung bei? Das Geld und die Lösung zu verbinden, das ist das, was wir mit Planet A leisten wollen.
Geldinteresse soll die Naturzerstörung beenden, die Geldinteresse auslöst?
Thiede: Wagniskapital hat aus unserer Sicht eine unglaubliche Verantwortung. Bisher war diese Branche ausschließlich auf finanziellen Parametern gebaut. Das hat Teilen der Menschheit zu großem Wohlstand verholfen, aber wir realisieren, dass wir damit in eine Sackgasse rennen. Aus meiner Sicht hat Wagniskapital die relevanteste Dekade noch vor sich, wenn die ökologischen Fragestellungen und die wissenschaftlichen Einsichten in die Investitionsentscheidungen einbezogen werden. Genau das versuchen wir mit Planet A. Wenn es uns als Investoren gelingt, zu verstehen, welche Innovationen wirklich Teil der Lösung sind und wir dorthin Kapital lenken können, dann kann Wagniskapital als kapitalistisches Instrument eine sehr positive und wichtige Rolle spielen. Kein anderes Kapital ist so früh dran und ist so risikobereit, diese sehr frühen Phasen von Innovationen und Technologien, die wir eben brauchen, auf den Weg zu bringen.
Ein bestimmtes Öko-Denken geht davon aus, dass die Natur befriedet wird, indem sie als Wert für sich anerkannt wird und nicht, dass man sie maximal investierbar machen muss bis zum letzten Baum im Regenwald.
Seikel: Schauen Sie sich die Alternative an, wie es bisher gelaufen ist. Da sind Industrien, die sehr umweltschädlich unterwegs sind und denen noch immer Erlaubnisse gegeben werden, um das genauso weiter zu betreiben. Dafür müssen Alternativen geschaffen werden. Diese Alternativen musst du finden und fördern, und das ist dann auch eine Umverteilung von Kapital. Das Kapital ist ja da und will investiert werden. Die Frage ist: Investiere ich es weiter in die Öl- und Gasausbeutung? Oder lenke ich es in Industrien, die genau das nicht machen und dadurch umwelt- und klimaverträglicher sind, die aber trotzdem attraktive finanzielle Renditen hervorbringen? Du löschst Kapitalisten dadurch nicht aus, sondern lenkst die Geldströme in vernünftige Bahnen, die berücksichtigen, dass wir nur einen Planeten haben. Wenn du tolle Unternehmen aufbaust, könnten diese natürlich später auch an die Börse gehen und wären so auch für alle investierbar.
Bislang führen auch Wirtschafts-Fonds Krieg gegen die Natur. Das ist der Ausgangspunkt ihres Erfolges. Können wir die Vorteile dieser Wirtschaft annähernd bewahren, wenn dieser Krieg in einen Frieden überführt wird?
Thiede: Es gibt eine Chance, das in eine Wirtschaft zu überführen, die innerhalb der planetaren Grenzen wirken kann. Ich nenne nur mal zwei Schlaglichter, die mich zuversichtlich machen: Zum einen sind das die Möglichkeiten, biobasierte regenerative Materialien zu produzieren, die etwa aus landwirtschaftlichen Resten stammen. Die treten nicht in den Wettbewerb mit Nahrungsmitteln, haben aber gleichzeitig die Qualität, sich in der natürlichen Umwelt innerhalb von sechs Wochen vollständig zu zersetzen. Und sie haben gleichzeitig die gleichen Eigenschaften wie konventionelles fossilbasiertes Plastik. Wenn es uns gelingt, solche Materialien herzustellen und damit in die Kreislaufwirtschaft zu kommen, dann brechen wir aus diesem alten Paradigma aus, immer mehr Raubbau zu betreiben und immer mehr Müll in die Umwelt zu bringen.
Und Ihr zweiter Punkt?
Thiede: Die Eine-Million-Euro-Frage lautet: Wie bekommen wir Natur investierbar? Da habe ich das Gefühl, wir sind jetzt erstmals in der Lage, Kapital in den Erhalt von Natur zu investieren. Das war über viele Jahrzehnte das ausschließliche Refugium der NGOs und der staatlich finanzierten Entwicklungsarbeit. Das hat sich aber nie gerechnet und da entstanden auch Abhängigkeiten der Bevölkerung vom »reichen Westen«. Nun sehen wir zum ersten Mal, wie man das drehen könnte in sich selbsttragende Wirtschaftsmodelle, die auch nachhaltiger sind in dem Sinne, dass sie die Communities tragen. Zum ersten Mal beginnt Natur, einen Wert zu bekommen – und warum? Weil zum einen Politik ambitioniertere Ziele setzt, Unternehmen verstärkt auch zu Biodiversität berichten müssen und weil sie zu verstehen beginnen, dass sie von einer intakten Natur und Lieferketten abhängen. Und zum anderen haben wir unglaublich viel Innovation auf der Gründerseite – technische Möglichkeiten, Biodiversität zu messen, die vor zehn Jahren noch undenkbar waren.
Seid Ihr sechs Gründer biografisch-kulturell eher Öko oder eher Wirtschaft?
Seikel: Unterschiedlich. Ich habe einen wirtschaftlichen Hintergrund, habe international BWL studiert und dann nach zehn Jahren Medienarbeit den Sprung ins kalte Wasser des Venturecapitals gewagt und bei einem Company Builder und Frühphaseninvestor gelernt, was es bedeutet, ein junges Gründerteam zu finden, mit einer guten Idee zusammenzuführen und zu leiten.
Impact-Investor, Wagniskapitalfonds zur Finanzierung von europäischen Greentech-Start-ups. Investoren sind unter anderem Allianz, BMW, KfW Capital, Rewe, der staatliche dänische Investmentfonds Vaekstfonden sowie Gründer wie Rolf Schrömgens (Trivago), Maximilian Backhaus (HelloFresh) und Rubin Ritter (Zalando).
Und dann?
Seikel: Allein auf finanzielle Rendite orientiert zu sein, das war mir zu wenig. Dann kommen viele Aspekte dazu. Eine Grundbegeisterung für die Natur, vor allem die Berge – und speziell dort sieht man den Wandel. Gleichzeitig ist da als Vater von drei Kindern die Frage: Was hinterlasse ich denen eigentlich mal? Und dann das starke Bedürfnis, das, was ich glaube, zu können wirklich sinnstiftend einzusetzen. In diesem Moment des Überlegens traf ich einen unserer heutigen Partner und Bekannten von mir, nämlich den Fridtjof Detzner, und wir entwickelten eine Grundidee von Planet A gemeinsam mit Christian Schad, dann kamen Nick de la Forge und Lena und als letztes Christoph Gras sehr schnell dazu. Das sind die Sechs, die wir heute sind. Und das hat eine explosive Motivation entwickelt.
Wie ist das bei Ihnen, Frau Thiede?
Thiede: Meine Berufung war schon immer Umwelt- und Klimaschutz. Ich hab schon mit dreizehn die Wale und Schildkröten in den Sommerferien gerettet und habe später zielgerichtet Politikwissenschaften studiert, um zu verstehen, wie sich gesellschaftliche Systeme verändern können mit Fokus auf internationale Umweltschutzpolitik. Ich habe dann kurz bei der OECD gearbeitet, bei einem Berliner Umweltforschungsinstitut, um dann die deutsche Bundesregierung in den großen Fragen zu beraten, also zur Energiewende und Klimatransformation.
Wie war das?
Thiede: Ich habe gemerkt, dass diese Übersetzungsleistung von Politikberatung in tatsächliche Politik manchmal rostig ist, und wollte dann zu denen gehen, die umsetzen und bin ins Bundesentwicklungsministerium. Da habe ich zehn Jahre in verschiedensten Bereichen gearbeitet, um auch daran mitzuwirken, wie wir die regionalen Entwicklungsbanken auf einen weniger fossil-schweren Pfad führen können. Ich wusste aber auch immer, dass ich diese Arbeit nicht nur vom Schreibtisch in einer Industrienation machen will und hab dann die Chance ergriffen, 2013 mit meiner Familie nach Tansania zu gehen. Nach fünf Jahren wird man in die Zentrale zurückgeholt, und dann habe ich gesagt, ich brauche jetzt eine Auszeit und wir ziehen weiter nach Südafrika, wo wir ja jetzt auch leben.
An welchem Beispiel kann man zeigen, wie dieses alte Paradigma abgelöst wird durch ein marktwirtschaftliches Paradigma, das dichter an die Lösung heranführt als die alten Strategien?
Lena Thiede:
Ko-Gründerin und Partnerin von Planet A, zuständig für Wirkungsmessung. Politikwissenschaftlerin. Zwei Jahrzehnte in Umweltforschung, Klimapolitik und Politikberatung, zuletzt zwölf Jahre für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung tätig.
Jahrgang 1975. Lebt in Kapstadt.
Tobias Seikel:
Ko-Gründer und Partner von Planet A, zuständig für den Dealflow- und Investitionsprozess. Studierter Diplomkaufmann. Verlagsmanager bei Gruner + Jahr (Osteuropa, Stern, Art), dann Geschäftsführer und Partner beim Wagniskapitalinvestor Hanse Ventures.
Jahrgang 1977. Lebt in Hamburg.
Thiede: Ich bin sehr dafür, den CO2-Tunnelblick aufzugeben und uns Ökosystemdienstleistungen zuzuwenden, die profitabel werden.
Heißt?
Thiede: Bisher machst du als Landwirt:in einen gewissen Umsatz mit dem, was du anbaust, aber du wirst ja nicht für deine Ökosystemleistungen entlohnt, also dafür zu sorgen, dass der Kohlenstoff im Boden bleibt, dass die Luft rein bleibt, dass Wasser zur Verfügung gestellt wird et cetera. Wir haben eine Company in unserem Portfolio namens The Landbanking Group, die genau das versucht: Ökosystemleistungen, die für alle essenziell sind, in Wert zu setzen und zu bepreisen. Das kann aber nur dann klappen, wenn auf der Nachfrageseite Bedarf ist.
Wo kommt der her?
Thiede: Das ist ein Mix aus Unternehmensverantwortung der großen Companies und Regulatorik, etwa im Rahmen der neuen EU-CSR-Direktive. Zum Beispiel muss man als Nestlé sicher sein können, dass sie in zehn Jahren den Kakao in derselben Qualität ernten können, wie sie es jetzt tun. Deshalb sind große Unternehmen zunehmend daran interessiert, in resiliente Lieferketten zu investieren.
Konventionellen Weltretterinnen dreht es vermutlich den Magen herum, wenn man ›Natur investierbar‹ machen will? Ist das der Paradigmenwechsel, dass man die Natur rettet, indem man sie turbokapitalisiert?
Thiede: Wenn wir Natur immer nur als kostenlose Ressource sehen, frage ich mich, wo die Anreize zur Bewahrung sind. Es hat sich klar gezeigt, dass Moral da nicht reicht. Wir brauchen Natur in den Bilanzen der Unternehmen. So wie wir das in der EU eben mit CO₂ machen, ihm einen Preis geben, externe Kosten internalisieren. Das sind Lenkungsmechanismen, die wir dringend brauchen.
Laut Klischee gibt es an den Unis Köfferchenträger, männlich, die werden der FDP zugerechnet und wollen Geld verdienen und Porsche fahren, und es gibt Weltretterinnen, klassischerweise weiblichem Geschlecht zugerechnet, die wollen in NGOs gehen und die Welt retten. Ist das für Sie Oldschool-Illusionismus?
Seikel: Mit dieser Betrachtung gehen wir sehr in die Extreme. Ich gehöre jetzt auch schon zum alten Eisen ...
... mit Ihrem hohen Alter von 45 ...
Seikel: ... aber bei meinem Diplomkaufmann-Studiengang sind noch 85 Prozent der Absolventen in die Beratung oder die Investmentbank gegangen. Dann kam irgendwann die Gründerwelle, die bis jetzt noch nicht abgenommen hat, und heute versuchen sich wahrscheinlich fünfzig Prozent der Abgänger von Wirtschaftshochschulen an der Gründung. Woher kommt der Veränderungsdruck? Es gibt die Komponente der Regulatorik, in der Gesetze gemacht werden, um Dinge in eine richtige Richtung zu lenken. Es gibt dann die Unternehmen, die merken, sie müssen etwas tun – aufgrund eben dieser Regulatorik oder aufgrund der Erwartungen der Konsumenten und Anteilseigner. Und es gibt die Konsumenten sowie die, die versuchen, auf den Arbeitsmarkt zu kommen. Und bei Letzteren ist es heute für viele absolut essenziell, etwas Positives für die Natur zu tun. Das haben nicht wir in die Welt getragen, das begegnet als Bewusstsein gerade allen und hat an Stellenwert schlicht zugenommen.
Ist das nicht auch ein liebevolles Klischee?
Seikel: Nein. Da kommen mitunter Leute, die bei McKinsey gerade in der mittleren Ebene nach oben aufstrebend sind und sagen: Weißt du was, ich lasse jetzt mal den 100.000-Euro-Lohn sein und komme zu euch, wenn nötig zu Beginn auch für ein Praktikantengehalt.
Begründung?
Seikel: Weil sie toll und spannend finden, was Unternehmen wie Planet A machen. Das sind keine Einzelfälle mehr, das ist eher der Regelfall geworden.
Und uns mal außen vor, geht in der Venture-Capital-Branche, auch bei den konventionellen VC, der Blick zunehmend in Richtung Greentech.
Wirklich?
Seikel: Ja, weil sie Druck von außen bekommen, nach und nach die Attraktivität des Segments verstehen und weil die Investoren fragen: Was macht ihr auf dieser Ebene?
Thiede: Wir brauchen einfach alle. Wir haben verstanden, dass Klimaaktivismus unglaublich wichtig ist, um Politik voranzutreiben. Politik brauchen wir dringend, um die Märkte zu entwickeln, in die ein Wagnisfonds investieren kann. Wagniskapital war ja früher sehr politikfern, aber wir nehmen jetzt eine sehr aktive gesellschaftspolitische Rolle ein.
»ICH HABE DAS GEFÜHL, WIR SIND JETZT ERSTMALS IN DER LAGE, KAPITAL IN DEN ERHALT VON NATUR ZU INVESTIEREN.«
Lena Thiede
Und wie läuft es geschäftlich?
Seikel: Wir haben 160 Millionen Euro eingesammelt und haben bis jetzt 18 Investitionen getätigt.
Wir haben in dieser Ausgabe auch ein Gespräch mit der ökologischen Ökonomin Sigrid Stagl, die darauf hinweist, dass das zentrale Problem von Kapitalismus ja Kapitalakkumulation sei, nach Marx immer mehr Geld in den Händen von wenigen. Wie wird das in Ihrem Modell berücksichtigt?
Thiede: Das ist ein wunder Punkt. Wir sind daran interessiert, den Zugang zu dieser Art von Finanzanlage zu verbreitern und Wagniskapital als Anlageform auch stärker für Kleinanleger:innen zur Verfügung zu stellen, aber das steht in den Anfängen, weil es ja auch um Fürsorge geht und es halt auch eine hohe Ausfallquote im Wagniskapitalbereich gibt. Man kann nicht kleinreden, dass viele VC-Funds eben nicht erfolgreich sind.
Was sind die strengen und messbaren Kriterien, die Sie an die Unternehmen stellen, die von Ihnen Kapital bekommen?
Seikel: Sie müssen erstens ein gesundes Geschäftsmodell haben. Wir klären, ob das alles seine Richtigkeit hat, schätzen die Zukunft ein, das Produkt, das Team, den Markt, die Konkurrenzsituation und so weiter. Das ist das Konventionelle. Das Zweite und Neue: Sie müssen einen positiven Beitrag zu Klima- beziehungsweise Naturschutz leisten und dieser positive Impact muss skalierbar sein.
Der Impact muss skalierbar sein, was heißt das in einfacher Sprache?
Seikel: Wir hatten zum Beispiel ein Unternehmen, das kam zu uns und meinte: »Grüß euch, wir produzieren nachhaltiges Eis.« Für sich genommen total sinnvoll. Aber dann musst du auch klären, wie viel Eis du produzieren musst, damit das wirklich eine erheblich positive Wirkung auf die Umwelt entfaltet. Das war dann zu klein für unsere Ziele. Auf der anderen Seite haben wir in ein Unternehmen investiert, das E-Fuels produziert, also versucht, den Treibhausgasausstoß von Flugverkehr neutral zu gestalten, vor dem Hintergrund der These, dass batteriebetriebene Interkontinentalflüge so schnell nicht kommen werden, aber die Menschheit auf diese Flüge nicht verzichten will und kann.
Also Brückentechnologie?
Seikel: Der schnellste Weg wäre aus unserer Sicht, zumindest mal einen Kraftstoff zu produzieren, der keinen zusätzlichen CO2-Ausstoß verursacht. Wenn du dann darüber nachdenkst: Wie viel brauchst du von diesem »E-Kerosin«? Was kann das ablösen? Und wie viel Flugverkehr gibt es da draußen? Dann kannst du das sehr schnell hochrechnen und skalieren. Ergebnis: Das wird richtig groß und hat einen großen Einfluss.
Thiede: Wir haben die Wirkungsbewertung in jeden Schritt unseres Investitionsprozesses verankert. Sobald das Unternehmen das erste Mal bei uns auftaucht, rechnen wir: Kann deren Innovation eine erhebliche positive Umweltwirkung haben? In den folgenden Tagen oder Wochen gehen wir dann immer tiefer in die wissenschaftliche Literatur und fordern auch die Zahlen der Unternehmen selbst heraus, denn meine Erfahrung ist, dass die Gründer:innen ihren Impact häufig überschätzen. Wir sprechen auch mit Expert:innen, und wenn wir dann glauben, dass das eine interessante Innovation ist, dann rechnen wir eine vollumfängliche Ökobilanz, bevor wir den Vertrag unterschreiben.
Wer prüft das alles?
Seikel: Wir haben ein eigenes Wissenschaftsteam, das die Ökobilanzen rechnet und dann das Produkt prüft, wie viel besser es gegen das ist, was bereits auf dem Markt ist, mit Blick auf Treibhausgasemissionen, Landverbrauch, Wasserverbrauch, Energieverbrauch, Ressourcenschonung et cetera. Impact verbindet für uns zwei Perspektiven. Wie viel besser ist diese Alternative wirklich für die Umwelt? Und dann geht es natürlich um die Businessperspektive, denn nur wenn diese Produktion auch wirklich skalierbar ist, hat das einen Einfluss auf diese Welt. Und nur, wenn beide Prognosen positiv sind, investieren wir. Wir haben unsere Vergütung als Fondsmanager auch an diese Wirkungsziele geknüpft.
Ist das Ziel vorgegeben, dass Ihr Geld etwas Naturneutrales macht?
Thiede: Ja, nur wenn die Ökobilanz eindeutig positiv ist, investieren wir. Bei diesem konkreten Beispiel hat die Berechnung ergeben, dass die E-Fuels durchschnittlich 63 Prozent weniger Treibhausgasemissionen erzeugen als der fossilbasierte Treibstoff. Das ist für uns ein signifikanter positiver Impact, und deshalb gehen wir da rein.
Wenn wir uns die gegenwärtige Situation angucken, Bundesregierung, Koalitionsausschuss, FDP und so weiter. Was die beratenden Institutionen machen, was die NGOs und die Fridays machen, was Sie machen, scheint unfassbar schwer in das politische Geschäft zu übersetzen?
Thiede: Ich nehme das positiver wahr. Ich habe jetzt das Gefühl, dass die handelnden Akteure sich bewusst sind, dass wir eben nur gemeinsam wesentlich vorankommen werden. Deshalb versuchen wir wirklich, die gesellschaftspolitischen Akteure zusammenzubringen. Wir sind auch bei der Initiative Cleantech for Europe aktiv, die versucht Impact-Fonds und Entrepreneure stärker mit der Politik zu vernetzen. Wir führen Gespräche mit EU-Abgeordneten in Brüssel. In deren Büros sitzen sonst immer nur die etablierten Stahlproduzenten, die sagen: Bitte erhöht nicht den CO₂-Preis. Die Politik mit den Entrepreneuren und Innovatoren zusammenzubringen, halte ich für absolut wichtig.
Weltrettung im Namen der Anleger, da rollen sich doch Linken die Fußnägel hoch. Was sagen wir denen jetzt?
Thiede: In Deutschland nehme ich das schon so wahr, dass wir lange nach dem Motto gewirtschaftet haben: Entweder tust du Gutes oder du verdienst Geld. Du machst also dein Geld mit den schmutzigen Geschäften, und wenn du es dir leisten kannst, spendest du für das Waisenhaus. Das ist nicht der Weg in die Zukunft. Wir sagen übrigens auch nicht, positive Wirkung und finanzieller Return können Hand in Hand gehen. Wir sagen, das eine wird das andere bedingen: Wenn es uns gelingt, die zu identifizieren, die gesellschaftlich relevante Lösungen und Technologien zur Verfügung stellen, wenn wir in die investieren und die wachsen lassen, werden das die neuen DAX-Unternehmen werden.
Letztlich sagen Sie: Entweder ökologischer Fortschritt oder keine Rendite!?
Thiede: Wir sagen: Wenn wir unsere Art zu investieren nicht verändern, dann ist auch irgendwann nicht mehr viel da zum Investieren.
Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER
Dieser Beitrag ist im Juni 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°25 erschienen.