USA: DIE WIRKUNG VON TERRORWARNUNGEN IST UNKALKULIERBAR : Heerführer im Wahlkampf
Straßensperren in Washington und New York, Festnahmen mutmaßlicher Attentäter, immer neue Informationen über angeblich bevorstehende oder gerade noch abgewendete Anschläge. Selbst wohlwollende Betrachter können sich des Gedankens nicht erwehren, dass solche Terrorwarnungen gut in George W. Bushs Wahlkampfstrategie passen: Das Land wird angegriffen. Daher ist jetzt nicht die Zeit, den Oberbefehlshaber auszutauschen. Auch nicht in einer Demokratie.
Im aktuellen Fall scheint es fundierte Hinweise zu geben. Aber die Dreistigkeit im Umgang mit vermeintlichen Geheimdiensterkenntnissen vor dem Irakkrieg hat gezeigt, dass Bush & Co. fast alles zuzutrauen ist. Doch auch die Strategen im Weißen Haus wissen, dass sie nicht zu weit gehen dürfen. Sollten sie tatsächlich auf eine Angststrategie setzen, kann diese irgendwann umschlagen. Zu viele Warnungen vor Terroranschlägen könnten bei einer Mehrheit der US-Bürger auch zu der Erkenntnis führen, dass der Antiterrorkampf des Amtsinhabers ein Misserfolg war. Natürlich: Bei den US-Kongresswahlen vor knapp zwei Jahren half die Furcht vor Anschlägen Bushs Parteifreunden. Das kann auch bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen wieder funktionieren – sicher ist es aber keineswegs. Die Auswirkungen von Warnungen oder gar tatsächlichen Anschlägen sind schlicht unkalkulierbar.
Einen Erfolg in ihrem Sinne dürfen die potenzielle Attentäter aber schon jetzt verbuchen: Die berechtigte Furcht vor neuen Anschlägen hat längst dazu geführt, dass sich beide Bewerber für das Präsidentenamt in erster Linie als die besseren Heerführer im so genannten Krieg gegen Terror präsentieren. Dabei ist es mehr als legitim, dass ausnahmsweise die Außenpolitik im Zentrum eines US-Wahlkampfs steht. Zu einer offenen Debatte hat dies aber keineswegs geführt. Im Gegenteil: Kritiker einer militärisch dominierter US-Politik sind längst an den Rand gedrängt. Das hat nicht zuletzt der Parteitag der Demokraten gezeigt. Hält diese Entwicklung an, drohen sich die Vereinigten Staaten immer mehr dem Bild anzunähern, das islamistische Terroristen gern von ihnen zeichnen.
ERIC CHAUVISTRÉ