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US-Rettungspaket abgelehntNoch schwärzerer Montag

Das US-Repräsentantenhaus lässt das 700 Millarden schwere Rettungspaket für die Finanzmärkte unerwartet platzen. Die Börse gerät in Panik, der Dow Jones stürzt gewaltig ab.

Die Kursverluste des Dow Jones fielen höher aus als am 11.September. Bild: ap

Ein weiterer grottenschwarzer Montag in Washington: Kurz nachdem bleichgesichtige Vertreter des US-Repräsentantenhauses am Nachmittag unerwartet die Ablehnung des 700 Milliarden US-Dollar teuren Rettungsplans der US-Regierug verkündeten, verließ die Anleger der Mut.

Die New Yorker Aktienkurse fielen und fielen, insgesamt stürzte der Dow Jones Index um 777,68 Punkte. Das ist der gewaltigste Tagesverlust des Dows in seiner 112-jährigen Geschichte, schlimmer noch als der Crash nach den Terrorattacken des 11. September.

Zum großen Entsetzen aller Beobachter hatten zuvor 228 Abgeordnete gegen das Rettungspaket gestimmt und 205 dafür. Noch am Sonntag hatten Vertreter beider Parteien im Parlament optimistisch verkündet, dass das politische Tauziehen um den von US-Finanzminister Herny Paulson vorgelegten Notplan mehr oder minder beendet und Kompromisse eingearbeitet worden seien. Die Kammer werde am Donnerstag wieder zusammentreten, erklärte der demokratische Mehrheitsführer Steny Hoyer nach dem Debakel. Es sei aber unklar, ob das Hilfspaket der Bush-Regierung dabei wieder auf der Tagesordnung stehen werde.

US-Präsident George W. Bush leitete unterdessen einen erneuten Anlauf ein, um den widerspenstigen Kongress zur Annahme des Paulson-Plans zu bewegen. "Unsere Strategie ist es, sich weiter frontal mit dieser wirtschaftlichen Situation zu befassen", kündigte Bush an. "Wir arbeiten daran, eine Strategie zu entwickeln." Finanzminister Paulson ergänzte blaß: "Wir müssen etwas neu zusammenstellen, was funktioniert - so schnell wie möglich."

"Die Abgeordneten sind von allen guten Geistern verlassen,” hagelte es wenig später aus allen Richtungen auf die Kongreßabgeordneten ein. EU-Handelskommissar Peter Mandelson verurteilte die Ablehnung der Finanzhilfen als verantwortungslos. “Ich hoffe, dass wir in Europa keine Politiker und Parlamentarier erleben, die eine solche Verantwortungslosigkeit an den Tag legen", sagte Mandelson dem britischen Sender BBC. Brasiliens Präsident Luiz Inacio da Silva forderte unter anderen die USA auf, umgehend etwas zu unternehmen. Entwicklungsländer dürften nicht zu "Opfern des Kasinos werden, das von der US-Wirtschaft errichtet wurde", wütete Silva.

Noch am Abend richteten sich die Hoffnungen und Gebete in Washington daher auf den US-Senat. Dort soll das umstrittene Rettungspaket mehr Unterstützung finden, spekulierten US-Medien. Führende Demokraten des Repräsentantenhauses um Nancy Pelosi hofften, dass eine zuvor erlangte Senatsmehrheit beim zweiten Anlauf genügend Druck auf die rebellischen Abgeordneten ausüben könne. “Der Senat sollte jetzt zu erst abstimmen, dann schicken wir den Gesetzentwurf zurück ins Repräsentantenhaus,” sagte der Vorsitzende der demokratischen Fraktionsgruppe, Rahm Emanuel. Paulson und der republikanische Vorsitzendes des Finanzausschusses, Barney Frank, hatten diesen Weg bereits vor der Montagsabstimmung vorgeschlagen, hatten sich damit jedoch nicht durchsetzen können.

Am Nachmittag hatte zuvor Parlamentspräsidentin Pelosi die Abstimmung länger angesetzt als üblich, damit sich Unentschlossene noch auf die Seite der Befürworter schlagen konnten. Doch ohne Erfolg. Pelosi selbst konnte nur 140 demokratische Stimmen abliefern, nur rund 60 Prozent ihrer Fraktion. Gegen den Rettungsplan - und mit den mehrheitlich republikanischen Nein-Sagern - stimmten vor allem demokratische Abgeordnete der hispanischen und der afroamerikansichen Fraktionsgruppen, was den ansonsten mehrheitsfähigen Demokraten im Repräsentantenhaus die Niederlage bescherte.

Noch am Montag abend eilte der Stabschef des Weißen Hauses Josh Bolten in den Kongreß, um gemeinsam mit dem republikanischen Einpeitscher Roy Blunt die Scherbenhaufen zu sortieren. Der republikanische Minderheitenführer John Boehner, der zunächst versuchte alle zu beruhigen, sah sich unterdessen hintergangen. Noch am Sonntag hatte Boehner verkündet, seine aufgebrachten Republikaner auf Linie gebracht zu haben. “Die Administration muß nun überprüfen, ob sich die philosophischen und ideologischen Differenzen zwischen dem Paulson-Plan und der Parteibasis noch überbrücken lassen,” sagte er sichtlich erschöpft von der vorangegangenen Woche harter Verhandlungen.

Im Präsidentschaftswahlkampf der Kandidaten Barack Obama und John McCain löste das Nein des Kongresses und das sich anschließende Börsendesaster eine Lawine gegenseitiger Schuldzuweisungen aus. Obama warf seinem Rivalen vor, seit 20 Jahren gegen eine dem gesunden Menschenverstand naheliegende Regulierung des Finanzsystems zu kämpfen. McCain seinerseits erklärte, Obama stelle nicht das Land, sondern seine persönlichen Ziele an die erste Stelle.

Zuvor hatte McCain seinen Wirtschaftsberater Doug Holtz-Eakin in die Spur geschickt, um Obama und den Demokraten die Schuld an der Misere zu geben, ungeachtet der Tatsache dass zwei Drittel der Republikaner gegen das Paket gestimmt hatten. Obama sagte auf einer Wahlkundgebung, dass McCain allein in diesem Jahr 20 Mal weniger Regulierung gefordert und kürzlich gesagt habe, Deregulierung habe sogar dem Wirtschaftswachstum geholfen. “Senator, von welcher Wirtschaft sprechen Sie?" rief Obama einer jubelnden Menge zu.

Nach Angaben des Dow-Jones-Wilshire-5000-Index, dem größten Messwert für Börsenbewegungen in den USA, sollen am Montag nachmittag Börsenwerte von rund 1,2 Billionen Dollar (834 Milliarden Euro) vernichtet worden sein – fast doppelt so viel, wie den US-Steuerzahlenden das Rettungspaket gekostet hätte.

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7 Kommentare

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  • BS
    Boris Schlensker

    Democracy Now Interview with Michael Hudson

    about the recent bailouts at Wall Street:

     

     

    AMY GOODMAN: Michael Hudson, we’re talking government bailout, which means taxpayers stuck with the bill. Do you think this is the right move?

     

    MICHAEL HUDSON: No, it’s the worst possible move, and it puts the class war back in business with a vengeance. Wall Street has been preparing for this for years, because every financial analyst knows that the debts can’t be paid. And the question that Wall Street has, if you’re going to take a gamble on bad debts that can’t be paid, how are you going to come out a winner? And there’s only one way of coming out a winner, and that’s to make the government bail you out. This has been known for years, because it’s inherent almost in the mathematics of compound interest. Every banker I know knew that the loans they were making were going to go bad. They were trying to sell them to somebody else, ultimately expecting them to end up with some sovereign wealth fund.

     

    And now, you had at the beginning of the show, McCain saying that this is the result of fraud and incompetence. The government has now bailed them out. But by bailing them out—Wall Street was coming to terms with the bad debts. When Bear Stearns went under and when Lehman Brothers went under, this began to wipe away the bad debts. And when the debts exceed the ability to pay, there’s only one thing any economy can do, and that’s wipe them out. Instead, the government is trying to keep the fiction alive. And what Paulson did yesterday, in bailing out AIG, was to try to lock in whoever is the next president not only to further bailouts of Wall Street, ostensibly to protect the public money, but to make it impossible to write down the debts of the four million homeowners that are expected to default this year, impossible to write down the debts of companies that have issued junk bonds, impossible for the country to get rid of this excess of debts that can’t be repaid. And you’re having really a war now of creditors against debtors. And this is what Wall Street has been preparing for. It needed an emergency to do it. It’s really not an emergency at all. This has been building up for many years. Everybody expected it. And breathlessly now, the Secretary of Treasury has done it.

     

    Michael Hudson, President of the Institute for the Study of Long-Term Economic Trends, Distinguished Research Professor of Economics at the University of Missouri, Kansas City, and author of Super-Imperialism: The Economic Strategy of American Empire. He is the chief economic adviser to Rep. Dennis Kucinich.

     

    http://www.michael-hudson.com/

  • EA
    el antifascista

    Wer jetzt noch nicht klar sieht sollte sich die Kugel geben!

    Dieses irre, Gott verdammte System vernichtet gerade nicht nur sich selbst (was ich begrüßen würde), sondern auch die Lebensgrundlage von Millionen wenn nicht Milliarden Menschen!

    Zeit die ganzen Börsen-, Öl-, Waffen-, Energie- und Wasweissichnochfür-bonzen mal richtig in den Arsch zu treten und uns das zurück zu holen was und gehört: Unser Leben!!!

    Würde mich freuen, wenn der Startschuss ausgerechnet im Land des Turbokapitalismus fällt.

    US-Bürger wehrt euch. Ihr seit 300 Millionen gegen ein paar Hundert!

  • KM
    Kein Mitleid

    Der Absturz des Dow Jones war lange absehbar, irgendwann musste dies passieren. Dies liegt unter anderem auch daran dass sich die US-Regierungen lieber auf kriegerische Maßnahmen konzentrieren statt auf die Dinge die wirklich wichtig sind. So gesehen empfinde ich für die USA kein Mitleid.

     

    Andererseits ist es ein grundsätzliches, globales Problem, das wir auch bei der Bundesregierung, bei den Landesregierungen und auf kommunaler Ebene haben, nämlich den Umstand dass man schlicht und einfach verantwortungslos mit den Einkünften aus Steuern und Abgaben umgeht statt zweckmäßig und sinnvoll zu haushalten.

  • MB
    Michael Baron

    No redemption for the crooks today. Enjoy the pathetic knee-jerk press coverage. "Black" monday, "black" friday - any given day is considered to be a "black" one as long as economy is played on stock markets where parasitic desperados get away with all kinds of baneful intrigue. This entire shareholder value based system stinks, and the decision NOT to back it up once again was a courageous and proper one. Kudos!

  • A
    ARE

    taz:

    "Nach Angaben des Dow-Jones-Wilshire-5000-Index, dem größten Messwert für Börsenbewegungen in den USA, sollen am Montag nachmittag Börsenwerte von rund 1,2 Billionen Dollar (834 Milliarden Euro) vernichtet worden sein – fast doppelt so viel, wie den US-Steuerzahlenden das Rettungspaket gekostet hätte."

     

    Hätten die US-Steuerzahler bezahlt, wofür? Nicht für ihr eigenes Aktiengeld (ungleich richtiges Geld!)!

     

    Diesmal braucht das Bush-Regime einen noch größeren Krieg, um von seiner Unfähigkeit ablenken zu können. Wer weiß? Vielleicht läuft jetzt gerade Plan "X" an, der einen Atomwaffenangriff der Iraner auf Israel vorsieht.

  • MM
    Michael Moore

    Friends,

     

    Everyone said the bill would pass. The masters of the universe were already making celebratory dinner reservations at Manhattan's finest restaurants. Personal shoppers in Dallas and Atlanta were dispatched to do the early Christmas gifting. Mad Men of Chicago and Miami were popping corks and toasting each other long before the morning latte run.

     

    But what they didn't know was that hundreds of thousands of Americans woke up yesterday morning and decided it was time for revolt. The politicians never saw it coming. Millions of phone calls and emails hit Congress so hard it was as if Marshall Dillon, Elliot Ness and Dog the Bounty Hunter had descended on D.C. to stop the looting and arrest the thieves.

     

    The Corporate Crime of the Century was halted by a vote of 228 to 205. It was rare and historic; no one could remember a time when a bill supported by the president and the leadership of both parties went down in defeat. That just never happens.

     

    A lot of people are wondering why the right wing of the Republican Party joined with the left wing of the Democratic Party in voting down the thievery. Forty percent of Democrats and two-thirds of Republicans voted against the bill.

     

    Here's what happened:

     

    The presidential race may still be close in the polls, but the Congressional races are pointing toward a landslide for the Democrats. Few dispute the prediction that the Republicans are in for a whoopin' on November 4th. Up to 30 Republican House seats could be lost in what would be a stunning repudiation of their agenda.

     

    The Republican reps are so scared of losing their seats, when this "financial crisis" reared its head two weeks ago, they realized they had just been handed their one and only chance to separate themselves from Bush before the election, while doing something that would make them look like they were on the side of "the people."

     

    Watching C-Span yesterday morning was one of the best comedy shows I'd seen in ages. There they were, one Republican after another who had backed the war and sunk the country into record debt, who had voted to kill every regulation that would have kept Wall Street in check -- there they were, now crying foul and standing up for the little guy! One after another, they stood at the microphone on the House floor and threw Bush under the bus, under the train (even though they had voted to kill off our nation's trains, too), heck, they would've thrown him under the rising waters of the Lower Ninth Ward if they could've conjured up another hurricane. You know how your dog acts when sprayed by a skunk? He howls and runs around trying to shake it off, rubbing and rolling himself on every piece of your carpet, trying to get rid of the stench. That's what it looked like on the Republican side of the aisle yesterday, and it was a sight to behold.

     

    The 95 brave Dems who broke with Barney Frank and Chris Dodd were the real heroes, just like those few who stood up and voted against the war in October of 2002. Watch the remarks from yesterday of Reps. Marcy Kaptur, Sheila Jackson Lee, and Dennis Kucinich. They spoke the truth.

     

    The Dems who voted for the giveaway did so mostly because they were scared by the threats of Wall Street, that if the rich didn't get their handout, the market would go nuts and then it's bye-bye stock-based pension and retirement funds.

     

    And guess what? That's exactly what Wall Street did! The largest, single-day drop in the Dow in the history of the New York Stock exchange. The news anchors last night screamed it out: Americans just lost 1.2 trillion dollars in the stock market!! It's a financial Pearl Harbor! The sky is falling! Bird flu! Killer Bees!

     

    Of course, sane people know that nobody "lost" anything yesterday, that stocks go up and down and this too shall pass because the rich will now buy low, hold, then sell off, then buy low again.

     

    But for now, Wall Street and its propaganda arm (the networks and media it owns) will continue to try and scare the bejesus out of you. It will be harder to get a loan. Some people will lose their jobs. A weak nation of wimps won't last long under this torture. Or will we? Is this our line in the sand?

     

    Here's my guess: The Democratic leadership in the House secretly hoped all along that this lousy bill would go down. With Bush's proposals shredded, the Dems knew they could then write their own bill that favors the average American, not the upper 10% who were hoping for another kegger of gold.

     

    So the ball is in the Democrats' hands. The gun from Wall Street remains at their head. Before they make their next move, let me tell you what the media kept silent about while this bill was being debated:

     

    1. The bailout bill had NO enforcement provisions for the so-called oversight group that was going to monitor Wall Street's spending of the $700 billion;

     

    2. It had NO penalties, fines or imprisonment for any executive who might steal any of the people's money;

     

    3. It did NOTHING to force banks and lenders to rewrite people's mortgages to avoid foreclosures -- this bill would not have stopped ONE foreclosure!;

     

    4. It had NO teeth anywhere in the entire piece of legislation, using words like "suggested" when referring to the government being paid back for the bailout;

     

    5. Over 200 economists wrote to Congress and said this bill might actually WORSEN the "financial crisis" and cause even MORE of a meltdown.

     

    Put a fork in this slab of pork. It's over. Now it is time for our side to state very clearly the laws WE want passed. I will send you my proposals later today. We've bought ourselves less than 72 hours.

     

    Yours,

    Michael Moore

    MMFlint@aol.com

    MichaelMoore.com

  • WM
    Walter Matthias Kunze

    Mehr Massenmedien = weniger Demokratie?

     

    Berichte über vergangenen Donnerstag (25.09.) vor Wallstreet stattgefundene Demonstrationen erscheinen erst 5 Tage(!) später in den US-Nachrichten.

     

    Weder ABC noch CNN, CBS, NBC etc. berichteten - obwohl alle großen Sender mit Niederlassung in New York City vertreten sind. Die wirklich aktuellen Nachrichten werden stattdessen über Weblogs kommuniziert, und das Nachrichtenmedium der Bürger bekommt wesentlich mehr Gewicht.

     

    Videos vom 25.09.:

    http://www.trendquest.eu/archives/196_Mehr-Massenmedien-weniger-Demokratie.html