US-Deserteur über den Irakkrieg: "Falludscha hat mir die Augen geöffnet"
André Shepherd ist der einzige US-Soldat, der wegen des Irakkriegs nach Deutschland floh und Asyl beantragte. Zu George W. Bush sagt er: "Du Mistkerl solltest ins Gefängnis!"
André Shepherd, 31 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio, hat als erster und derzeit einziger US-Soldat im November 2008 in Deutschland Asyl beantragt. Er war seit dem 21. April 2007 in Süddeutschland untergetaucht, weil er mit seiner Einheit, dem 412. Luftunterstützungsbataillion, aus Gewissensgründen nicht ein zweites Mal in den Irak wollte. Seit seinem Asylantrag kann er nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorerst nicht abgeschoben werden, anders als Dutzende anderer US-Soldaten, die untergetaucht sind. Shepherds Anwalt erwartet in den nächsten sechs Monaten eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration. Shepherd beruft sich als Erster auf eine EU-Richtlinie vom 29. April 2004. Demnach können "Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes" zur Anerkennung als Flüchtling führen, wenn ein Konflikt Artikel 1 und 2 der Charta der Vereinten Nation verletzt. Hoffnung macht Shepherd deshalb ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2005. Es rehabilitierte einen Bundeswehrsoldaten, der sich weigerte, eine Software zu entwickeln, die indirekt den USA im Irakkrieg dienlich sein könnte. Es gebe hierbei gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta, so die Richter. Sollte Shepherd Asyl bekommen, will er in Deutschland Informatik studieren.
taz: Herr Shepherd, Sie waren als Soldat in den Jahren 2004 und 2005 ein halbes Jahr in der Nähe von Tikrit im Irak stationiert und haben die Motoren von Apache-Kampfhubschrauber gewartet. Es gab und gibt Tausende von zivilen Opfern in dem Krieg. Fühlen Sie sich schuldig?
André Shepherd: Ja, natürlich. Apache können in der Wüste ohne Wartung nicht mehr als ein paar Stunden fliegen. Auch Waffen- und Maschinenspezialisten wie ich sind indirekt schuld an den Opfern. Damit muss ich den Rest meines Lebens zurechtkommen.
Wie gelingt das?
An manchen Tagen mehr, an anderen weniger. Aber ich habe gelernt, damit zu leben, denn in meinem Einsatz wusste ich einfach nichts über den Krieg. Da ich mich jetzt so sehr gegen ihn wehre, da ich weiß, was ich nun weiß, gibt es einen Ausgleich für das, was in der Vergangenheit passierte. Das macht es auch einfacher, wenn ich heute mit Irakern rede.
Sie sind am 21. April 2007 vor ihrem zweiten Einsatz nach Deutschland desertiert. Was gab den Ausschlag?
Ich wollte nicht mehr verantwortlich sein für das, was dort passiert. Zu diesem Zeitpunkte wusste ich genau, was wir dort tun. Wenn ich einmal Kinder haben sollte und sie mich fragen: Warum hast du in diesem Krieg mitgemacht?, dann kann ich ihnen sagen, dass ich im ersten Einsatz keine Ahnung hatte, was dort wirklich passiert. Wenn ich das zweite Mal gegangen wäre, hätte ich keine Entschuldigung mehr gehabt. Außerdem wusste ich, man kann das System nicht als Soldat von innen bekämpfen. Sie hätten mir Handschellen angelegt und mich in den Knast gesteckt. Seit ich untergetaucht bin, bekomme ich dagegen Unterstützung von der Zivilbevölkerung.
Seit Sie im November 2008 Asyl in Deutschland beantragt haben, leben Sie mit Irakern und Afghanen in einem deutschen Asylbewerberheim. Gibt es Konflikte?
Nein, das sind großartige Menschen. Wie reden über fast alles. Ich versteh nicht, warum im Westen jeder Mensch aus dem Nahen Osten als potenzieller Selbstmordattentäter gebrandmarkt wird. Wir haben auch radikale Freaks in den USA, trotzdem kommt kein russischer Fernsehsender und behauptet, jeder Amerikaner sei ein Psychopath. Diese auf Rassismus basierende Stigmatisierung der Menschen muss aufhören. Warum fördern Regierungen das? Um die Menschen daheim zu kontrollieren.
Wie ist das Zusammenleben im Asylbewerberheim?
Wie in einer WG. Wir haben eine gemeinsame Küche, kochen zusammen, schauen Fernsehen und teilen uns eigentlich alles: Fitnessgeräte, Bücher, Computer. Arabische Musik ist großartig. Über Religion reden wir kaum. Wenn wir über Politik sprechen, sagen sie: Es ist völlig egal, dass du aus Amerika kommst. Wir haben großen Respekt vor dem, was du getan hast. Sie waren unglaublich erleichtert zu hören, dass es weltweit 25.000 desertierte US-Soldaten gibt, die sagen: Wir machen diesen Krieg nicht mit. Dass es Widerstand im Militär gibt, macht meinen Mitbewohnern große Hoffnung. Sie verstehen, dass wir nicht in ihren Ländern sein wollen.
Gibt es Ihrem Leben jetzt einen neuen Sinn, zu einem Symbol der Friedensbewegung geworden zu sein?
Ja, aber ich will nicht, dass Leute mich als einen Leader ansehen. Wenn sie mich als Symbol verwenden, ist das okay. Wir haben aber viele großartige Menschen, die Friedensarbeit machen, viel länger als ich.
Wie groß ist der Zweifel von Soldaten in Einsatzgebieten?
Wir hatten unsere Freizeit, in der wir mit den Piloten gesprochen haben. Sie sehen kaum, was auf dem Boden passiert, wenn sie ihre Mission fliegen. Oft sagten sie, über Einsatzgeheimnisse können sie nicht sprechen. Zivile Opfer müssen bekannt werden, damit Menschen verstehen, was dort im Irak abgeht.
Haben Sie im Irak Bilder von zivilen Opfern gesehen?
Das Militär zeigt so etwas natürlich nicht, das würde die Moral zerstören. Es war die Schlacht von Falludscha, die mir wirklich die Augen geöffnet hat. Auf den Militärkanälen bekamen wir nur Bilder des Sieges zu sehen, jeder war am Feiern. Aber dann schaust du ins Internet und siehst Bilder einer total zerstörten Stadt. Unsere Apache-Hubschrauber waren in diesem Kampf dabei. Wir haben Stadtteile unbewohnbar gemacht wegen des Urans in der Munition. Ich dachte: Wir sind hier, um diesen Menschen zu helfen und nicht, um ganze Städte zu zerstören.
Kann man als Soldat überhaupt Widerstand leisten gegen dieses System?
Das ist sehr schwer. Im Militär glaubt jeder an die Integrität seiner Einheit. Du willst nichts tun, das die Gemeinschaft untergräbt, weil du nicht willst, dass etwas passiert. Wenn man dort ist, will man seine Jungs beschützen.
Haben Sie noch Kontakt zu den alten Kameraden?
Kaum. Ich will nicht, dass sie wegen mir Ärgern bekommen. Sie haben ihren letzten Einsatz aber alle heil überstanden. Sie wissen, was ich getan habe, verstehen es aber nicht. Manche meinten, zum Desertieren hätte ich auch einen Joint rauchen können, dann hätten sie mich nach einem Drogentest vielleicht aus der Armee geschmissen. Ich bin aber lieber ehrlich und sage: Was wir machen, ist falsch.
Was dachten Sie, als Barack Obama die Wahl gewann?
Gewählt hätte ich ihn vermutlich nicht. Was er während des Wahlkampfs versprochen hat, klang für mich wie eine Fortführung der alten Regierung, nur mit netteren Reden. Der Krieg gegen den Terror verlagert sich nun vom Irak in die Berge von Afghanistan. Robert Gates ist immer noch Verteidigungsminister. Obama hat kein Wort über Soldaten in meiner Situation verloren. Er sollte allen Deserteuren eine Amnestie gewähren.
Auch Deutschland schickt Soldaten nach Afghanistan. Ist das ein Krieg, in dem Deutschland sein sollte?
Nein. Die Mission war es, Bin Laden zu finden. Wenn sie ihn aus der Gleichung streichen, sollte jede Armee aus Afghanistan abziehen. Es war nie die Rede davon, Opiumanbau zu bekämpfen oder Pipelines zu bauen.
Nehmen wir den Golfkrieg von Bush senior. Es gab eine UN-Resolution und einen Aggressor. Würden Sie in einem solchen Krieg kämpfen?
Jedes Mal, wenn eine Regierung von einer Gefahr spricht, kann ich es nicht mehr glauben. Jeder große Konflikt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde mit einer Lüge begonnen. Der Irakkrieg basiert auf einer glatten Lüge. Wenn es eine neue Bedrohung da draußen geben sollte, wem sollte man glauben? Ich töte keine Menschen, damit ein reicher Typ in einem Elfenbeinturm davon profitiert.
Ihnen sitzt Georg W. Bush gegenüber. Sie haben 30 Sekunden Zeit. Was würden Sie ihm sagen?
"Du Mistkerl hast es verdient, ins Gefängnis zu wandern. Ich werde nicht für dich ins Gefängnis gehen." Aber genau das passiert. US-Soldaten desertieren überall auf der Welt. Sie kommen dafür ins Gefängnis. Während gegen die Menschen, die für den Krieg verantwortlich sind - Bush, Cheney, Rumsfeld, viele andere - nicht einmal Untersuchungen laufen. Das ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit, auch für das Militär.
Sie haben einen Eid auf die US-Flagge geschworen. Glauben Sie noch dran?
Ich glaube an die Werte, die er beinhaltet. Es heißt, ich solle die USA gegen alle Feinde beschützen, innere wie äußere. Und das ist genau das, was ich mache: Ich versuche das Land vor seiner eigenen Regierung zu beschützen.
Sie haben Ihre Familie zuletzt im Januar 2004 gesehen. Haben Sie über die Konsequenzen nachgedacht, dass Sie womöglich nie wieder Ihr Land betreten werden?
Klar, das wusste ich. Ich spürte, dass die Situation so wichtig ist, dass meine persönlichen Wünsche zweitrangig sind. Radikale Änderungen im Leben erfordern einen hohen Preis. Wenn mir das Außenministerium die Staatsbürgerschaft entzieht, muss ich das akzeptieren. Aber ich vermisse meine Familie schrecklich. Meine Eltern, Großeltern, meine beiden Brüder und meine Schwester. Mal schauen, wir versuchen, ein Treffen hier zu arrangieren.
Es besteht die Möglichkeit, dass Sie hier kein Asyl bekommen. Haben Sie sich darauf vorbereitet?
Dann finde ich einen Weg, woanders Asyl zu finden. Wahrscheinlich werde ich in allen Instanzen klagen, zur Not bis vor den Europäischen Gerichtshof. Die USA würden jedenfalls alles tun, um mich unter Kontrolle zu bekommen. Wenn ich zurückgehe und mich als Deserteur schuldig bekenne, dann gebe ich dem Militär Recht damit, die falschen Befehle der Regierung zu befolgen und zwei souveräne Staaten auf Grundlage einer Lüge zu besetzen. Dann gebe ich ihnen Recht, wenn sie die Regeln verletzten, die wir eigentlich verteidigen wollten.
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