US-Abtreibungsgegner: Der Zorn der Bischöfe
Die US-Abtreibungsgegner gehen wegen der Gesundheitsreform auf Präsident Obama los. Selbst einige Demokraten weigern sich, Beihilfen für Abtreibungen zu genehmigen.
Da kannte der Bischof selbst bei der katholischsten aller amerikanischen Präsidentenfamilien keine Gnade. Patrick Kennedy, Sohn des verstorbenen US-Senators Ted Kennedy, ist in seiner Diözese von der Heiligen Kommunion ausgeschlossen worden. Der demokratische Kongress-Abgeordnete ist für den Bischof seiner Diözese im Bundesstaat Rhode Island, Thomas Tobin, "kein guter praktizierender Katholik". Seine Sünde: Er hat die Kirche für Äußerungen zur Abtreibung in der Debatte um die Gesundheitsreform gerügt.
Eskaliert war der Streit kurz nach dem Tod von Kennedys Vater, dessen Herzensanliegen die Reform des amerikanischen Gesundheitssystems war. Als der Kongress die entsprechenden Gesetzesentwürfe ausarbeitete, übten die Katholiken dort Druck auf ihre Glaubensbrüder und -schwestern aus. Die Kleriker sahen rot bei der Vorstellung einer staatlichen Krankenversicherung, die unter Umständen auch noch die Kosten für Abtreibungen mittragen würde. Daraufhin warf der 42-Jährige Kennedy der Kirche in einem Interview vor, für "Missmut und Zwietracht" zu sorgen. Der katholischen Zeitung National Catholic Reporter sagte Kennedy, "wenn die Kirche für das Leben ist, dann sollte sie für die Gesundheitsreform sein, denn die wird Gesundheitsfürsorge bringen, die die Menschen am Leben hält." Tobin tobte: Kennedys Äußerungen seien "unverantwortlich". Den Bischöfen gehe es darum, hilflose Babies im Mutterleib genauso zu schützen wie Zuwanderer und andere Unversicherte in den USA.
Dass der Streit zwischen den beiden so unterschiedlichen Katholiken ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit dringt, ist kein Zufall. Denn je mehr die Gesundheitsreform Gestalt annimmt, um so größer ist die Torschlusspanik - gleichermaßen bei Abtreibungsgegnern wie ihren Befürwortern. "Pro Life" gegen "Pro Choice", dieser Streit ist auf allen gesellschaftlichen Ebenen ein Dauerbrenner in den USA. Von der Basis über die Kirche bis hin zum Kongress spaltet sie das Land nun wieder - oder besser gesagt: Immer noch.
Denn eigentlich hat sich in der Haltung der Bevölkerung wenig verändert, seit der Oberste Gerichtshof vor 36 Jahren entschied: Jede Amerikanerin hat das Recht, eine Schwangerschaft beenden zu können. Das Urteil Roe versus Wade besagt, dass jede Frau bis zum Zeitpunkt der extrauterinen Lebensfähigkeit des Kindes das Recht hat, abzutreiben. Dieser Zeitpunkt wird im Allgemeinen in der 24. Woche gesehen. Alles was danach kommt, können Bundesstaaten mit eigenen Gesetzen untersagen, es sei denn, das Leben der Frau ist in Gefahr. Durch ein Zusatzgesetz dürfen die Staaten Frauen auch vor der 24. Woche ihre Entscheidung zur Abtreibung erschweren - etwa durch eine Pflichtberatung mit Aufklärung über die fetale Entwicklung oder vorgeschriebenen Wartezeiten, die zwischen einer Stunde (in South Carolina) und 72 Stunden (in Tennessee) lang sein können.
Nach einer Umfrage des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts Pew steht noch nicht einmal die Hälfte aller US-Bürger hinter dem Abtreibungs-Urteil von 1973. Nur 46 Prozent sind der Ansicht, dass Abtreibungen immer oder unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich erlaubt werden sollen.
Nach wie vor machen viele Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollen, einen Spießroutenlauf. Sie müssen sich ihren Weg zur Abtreibungsklinik oder Beratungsstelle durch Gruppen hartnäckiger Demonstranten mit abschreckenden Plakaten bahnen. Und die Ärzte, die den Abbruch vornehmen, müssen gar um ihr eigenes Leben bangen.
So wartet im Bundesstaat Kansas der militante Pro-Life-Aktivist Scott Roeder auf seinen Mordprozess. Roeder hatte dort am 31. Mai dieses Jahres den landesweit bekannten Abtreibungsarzt George Tiller demonstrativ vor dem Gottesdienst seiner Reformation Lutheran Church in der Stadt Wichita erschossen. Lange hatte Roeder von diesem "Akt der göttlichen Gerechtigkeit" geträumt und ihn auch mehrfach angekündigt. Völlig gefasst ließ er sich nach der Tat festnehmen. Der blaue Ford, in dem Roeder saß, als die Polizei ihn stellte, trug einen fetten Aufkleber mit der roten Rose. Das Symbol der Abtreibungsgegner prangte gleich neben dem christlichen Fischsymbol mit dem Schriftzug Jesus.
Tiller ist nicht der erste Abtreibungsarzt, der in den USA ermordet wurde. Heilige Krieger der Pro-Life-Bewegung schossen bereits auf mehrere seiner Kollegen - einige Male waren ihre Kugeln tödlich. Seit 1977 sind in den USA tausende Straftaten gegen Abtreibungskliniken und ihre Mitarbeiter registriert worden, darunter Bombenanschläge, Brandstiftungen, Morddrohungen und Entführungen.
Nach dem Mord an Tiller hat US-Präsident Barack Obama derartige Angriffe verurteilt. Doch Obama steht bei den Lebensschützern in dieser Sache ohnehin nicht gut im Kurs. Im Januar hatte er gleich in den ersten Tagen seiner Amtszeit angekündigt, dass er sich auch beim Thema Abtreibung von der Politik seines Vorgängers George W. Bush distanziert. "Ich fühle mich weiter dem Recht der Frau auf freie Entscheidung verpflichtet", verkündete er und hob sogleich eine Anordnung auf, die Finanzhilfen der US-Regierung für Organisationen untersagt, die Schwangerschaftsabbrüche unterstützen oder durchführen. Die so genannte "gag rule" war erstmals 1984 von dem republikanischen Präsident Ronald Reagan eingeführt worden. Da der demokratische Präsident Bill Clinton die Regelung außer Kraft gesetzt hatte, führte Obama-Vorgänger Bush sie umgehend nach Amtsantritt wieder ein.
Und genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister bei der Erarbeitung des Gesetzes zur Gesundheitsreform. Selbst im Lager der Demokraten weigern sich viele Abgeordnete, staatliche Beihilfen für Schwangerschaftsabbrüche zu genehmigen. Entsprechend hatte das Abgeordnetenhaus sich bei seiner Vorlage für ein Gesetz zur Gesundheitsreform auf einen Kompromiss geeinigt: Danach sollen die Versicherungen nur noch im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder etwa dann zahlen, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die Senatoren hingegen stimmten Anfang Dezember für einen liberaleren Gesetzentwurf. Die Mehrheit der Demokraten sprach sich in der Kongresskammer gegen eine Regelung aus, nach der es keinerlei staatliche Zuschüsse für Krankenkassen geben darf, die Abtreibungen zulassen.
Der demokratische Senator Ben Nelson drohte deswegen, gegen eine Reform zu stimmen, "die staatliche Gelder für Abtreibungen vorsieht". Doch die Demokraten benötigen die Stimmen aller Senatoren ihrer Partei, um auf die mehrheitsentscheidenden 60 von 100 Stimmen für Obamas Gesundheitsreform im Senat zu kommen. Nelsons Stimme wäre die 60. der Demokraten. Am Wochenende nun hat Nelson nach einem 13-stündigen Verhandlungsmarathon mit seiner Parteispitze zugesichert, doch für die Reform zu stimmen. Er pocht aber weiterhin darauf, dass über die geplante Krankenversicherung kein Geld für Abtreibungen ausgegeben wird.
Nelson hat, im Gegensatz zu Patrick Kennedy, die katholischen Bischöfe hinter sich, die dies auch in einem Brief an den Senat bekundeten. Für Kennedy hingegen gibt es zumindest Hoffnung. Sein Bischof Thomas Tobin erklärte kürzlich, er warte zwar auf eine Entschuldigung des Clan-Sprosses. Doch er bete weiter für den verlorenen Sohn.
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