URUGUAY – ITALIEN IM BANJA LUKA : Ein Mann wie der griechische Fußball im Jahr 2014
VON MICHAEL BRAKE
Etwa 15 Minuten nach Anpfiff trifft Klaus ein. Klaus trägt einen Blaumann unter der Jacke, außerdem eine Brille und eine ergraute Haarmatte, und kaum ist er da, steht schon – „Pronto, Klausi!“ – ein gezapftes Bier vor ihm. Stammgast. Ein paar Straßen weiter werden gerade die Flüchtlinge aus der Gerhart-Hauptmann-Schule geräumt. „900 Bullen, das musst du dir mal reinziehen“, sagt Klaus zu seinem Mitzuschauer. Béla Réthy erzählt im Fernsehen, dass es windig geworden sei in Natal, Klaus steckt den Mittelfinger in den Mund, hält ihn hoch. „Ist doch gar kein Wind.“ Dann erzählt er Geschichten von früher, aus Gorleben.
Klaus ist mir sympathisch, allein schon, weil er so wie mein Vater heißt. Für das Banja Luka ist er allerdings in etwa so repräsentativ wie die griechische Mannschaft für den Zustand des europäischen Fußballs im Jahr 2014: eindeutig eine Ausnahmeerscheinung. Sonst sind hier nämlich alle jung und sprechen englisch oder spanisch und bringen sich Schallplatten mit und so was. Klaus war beim Spanien-Spiel neulich mit einer Vuvuzela hier. Oldschool.
Eigentlich wollte ich das Banja Luka in dieser Kolumnenreihe gar nicht vorstellen, weil es seit Jahren mein geheimster Lieblingsguckort der Stadt ist, ein Biergarten direkt am Schlesischen Tor, dessen Eingang aber fast unsichtbar ist. Weil pünktlich zur WM der holzrustikale Innenbereich erweitert und sehr sichtbar bis zur Oberbaumbrücke durchgestochen wurde, ist es aber mit Geheimtipp eh Essig, da kann man dann auch drüber schreiben.
Der Innenhof ist immer noch wunderbar unfertig, in einer Badewanne wachsen Pflanzen, in der Ecke steht eine klobige Bart-Simpson-Holzstatue, und über dem Beamer hängt ein Regenschirm. Die Lichtpower des Beamers kommt am frühen Abend noch nicht so ganz gegen das Tageslicht an, und harte Farbkontraste mag das Gerät auch nicht gerne. Uruguays in Orange gekleideter Torwart Muslera ist auf dem grünen Rasen von einem geisterhaften Schimmer umgeben, so dass ich jedes Mal denke, er trage lange Troddeln an Trikot und Hose, wie früher Macho Man Randy Savage.
Buffons Bandscheibe
Italiens Torwart Gianluigi Buffon trägt dagegen Weinrot, und in der 33. Minute gelingt ihm eine doppelte Glanzparade. „Mensch Buffi, haste ihn gehalten“, sagt Klaus. Béla Réthy erklärt, dass Buffon es schon mal mit der Bandscheibe hatte. Buffon ist 36. „Was ist schon eine kaputte Bandscheibe?“, fragt Klaus. „Man hat doch mehrere.“ Klaus ist 58.
Das Spiel ist eher taktisch geprägt. Es steht lange 0:0, und als in der 70. Minute Italiens unfähiger Stürmer Ciro Immobile ausgewechselt wird, hängen dunkle Wolken überm Banja Luka. Ich schaue hoch. „Nicht nach oben gucken. Es gibt keinen Regen“, sagt Klaus. „Früher nannte man mich den Wettergott.“ Er macht eine wegschiebende Geste mit den Händen.
Irgendwie hilft es nichts, wir wechseln alle unters Vordach. Jetzt sitzen neben mir drei sehr junge Berliner. Der eine erzählt, er sei neulich mal wieder im Zoo gewesen. „Aber seit Knut tot ist, ist das irgendwie nicht mehr das Gleiche.“ Kurz danach macht Uruguay das 1:0. Italien ist raus. Ein paar Leute freuen sich. Ich nicht. „Trotzdem ist Fußball Fußball“, hat Klaus vorhin gesagt. Er hat natürlich recht.
Heimmannschaft: keine.
Gästeblock: im Umkehrschluss alle.
Stadionimbiss: Korean Barbecue. Fleisch mit Kimchi und Reis, dazu Teigtaschen und Algensalat – gibt es leider nur bei guter Wettervorhersage.
Ersatzbank: Von der Oberbaumbrücke aus kann man kostenlos auf dem Riesenscreen der Pirates-Strandbar schauen. Bei Regen geht es in die Fette Ecke auf der Schlesischen Straße.
Rote Karte: Ach, bleibt ruhig alle weg. Soll ja ein Geheimtipp bleiben.
■ Banja Luka, Falckensteinstraße 1, Kreuzberg