UNTERM ADENAUERPLATZ : Mitteilungsbedürftig
An den Adenauerplatz in Wilmersdorf verschlägt es mich selten. Die erste Wohnung in Westberlin, in der ich nach dem Mauerfall lebte, war zwar dort. Und auch mein erstes Westkonto habe ich da eröffnet. Aber es ist lange her, dass ich das letzte Mal am Adenauerplatz war, zu einem Treffen mit dem ehemaligen Kaufhauserpresser Dagobert.
Nun hatte eine Freundin mich an den Adenauerplatz gelotst. Einige Stunden vor ihrem Heimflug nach England hatte sie Freunde in ein Café bestellt. Nachdem alle Neuigkeiten ausgetauscht waren, ging ich zur U-Bahn und wartete auf einer Bank, wo ein Mann saß, Mitte/Ende 50, in der Hand eine Büchse Bier, um den Hals einen blau-weißen Schal. „Weißt du, wer neuer Zweiter wird bei Wolfsburg?“, vernahm ich seine Stimme. Erleichtert merkte ich, dass er mit sich selbst sprach. Von Fußball habe ich nämlich keine Ahnung. „Um Dortmund tut es mir leid“, fuhr er fort, „da könnte man heulen.“
Die ganze Zeit war der Blick des Mannes starr geradeaus gerichtet. Seine Gedankensprünge waren groß, nicht alles ergab Sinn. „Na ja, die gehen nur rüber, weil sie mehr Geld wollen.“ „Turnschuhe mit Fell, kein richtiges Fell, aber die müssen ja immer was Neues rausbringen. Und na ja, es hält warm.“ – „Die Musik war voll laut, weil die von der Party kamen. Ich musste früh zur Arbeit. und die anderen haben mitgesungen. Das war so herrlich.“ Der Mann lachte laut, als meine U-Bahn einfuhr.
Auch in der U-Bahn saß ein Mann mit großem Mitteilungsbedürfnis neben mir, ein Verkäufer der Obdachlosenzeitung motz, relativ jung und relativ stark tätowiert. Er erzählte, wie er einmal eine Frau auf die Schippe genommen hat. „Ich habe ihr gesagt, dass ich dreißig Minuten meinen Wohnungsschlüssel gesucht habe. Dreißig Minuten!!“ Der Zeitungsverkäufer kriegte sich kaum ein vor Lachen. „Dabei habe ich gar keine Wohnung!“
BARBARA BOLLWAHN