■ UNO-Tribunal über Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: Kinkels leere Sprüche
Die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen ist eines der erklärten Hauptziele deutscher Außenpolitik. Bei der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz im Juni setzte die Bundesregierung gegen die Bedenken vieler Staaten des Südens eine Empfehlung durch, die Vorarbeiten der UNO für einen solchen Gerichtshof zu intensivieren. Ob und wann er Realität wird, hängt allerdings wesentlich vom Verlauf des UNO-Tribunals über die Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien ab, das gestern in Den Haag seine Arbeit aufnahm. Und dieses Tribunal wird wie das Hornberger Schießen ausgehen, wenn Deutschland und andere westliche Staaten ihre Blockadepolitik fortsetzen, die sie in den zwölf Monaten der Vorbereitung dieses Tribunals praktiziert haben. Die Kriegsverbrecher in Ex-Jugoslawien sollten „persönlich zur Verantwortung gezogen werden“, und mit der Verfolgung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht werde „eine von Deutschland intensiv vorangetriebene Idee Wirklichkeit“, erklärte gestern der Bundesaußenminister anläßlich der Tribunalseröffnung.
Dies bleiben leere Sprüche, solange Bonn und andere Regierungen die Herausgabe von Daten und Unterlagen an das Tribunal verweigern, die unerläßliche Voraussetzung sind für Ermittlungen und die Formulierung von Anklageschriften – und solange das Tribunal sowie die für die Sammlung von Beweisen und die Beibringung von Zeugen zuständige Genfer Expertenkommission von der „internationalen Staatengemeinschaft“ finanziell und personell nicht erheblich besser ausgestattet werden. Das weiß auch Kinkel. Es verdichtet sich der Verdacht, daß neben den Regierungen in London, Paris und Moskau, deren Sympathien für die serbische Seite (nach allen bisherigen Erkenntnissen für rund 80 Prozent aller in Ex- Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich) seit langem offensichtlich sind, auch die Bundesregierung an der Verfolgung und Ahndung dieser Verbrechen nicht wirklich interessiert ist. Dieses Versagen wird – da die Opfer dieser Verbrechen zum überwiegenden Teil bosnische Muslime sind – den Konflikt zwischen christlicher und islamischer Welt weiter verschärfen. Das im Grundsatz richtige Prinzip der universellen Geltung der „Allgemeinen Menschenrechtserklärung“ von 1948, das Deutschland und andere Staaten des Nordens auf der Wiener Konferenz noch so vehement gegen Angriffe einiger Länder des Südens verteidigt haben, wird nun von seinen Verteidigern verraten und ausgehöhlt.
Gerade recht kommt da die jüngste Entwicklung auf dem Schlachtfeld: Die bosnischen Muslime – vom Westen schändlich im Stich gelassenen und nach langem Widerstand gezwungen, ethnische Teilungskriterien zu akzeptieren – haben auch die letzte Hoffnung auf eine Vereinbarung am Genfer Verhandlungstisch aufgegeben und setzen nun auf die militärische Rückeroberung verlorener Territorien. Dabei dürften auch die überwiegend muslimischen Regierungstruppen in den kommenden Wochen und Monaten verstärkt Menschenrechtsverletzungen begehen. Das erleichtert das Gerede vom bosnischen „Bürgerkrieg“, die Verdrängung von Ursache und Geschichte des Konfikts und die Verwischung von Tätern und Opfern. Andreas Zumach
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