UNIBESETZUNG : Der alte Hase spricht
Ein bisschen betreten stehen ungefähr zweihundert Studenten auf dem Hinterhof der Humboldt-Universität herum. Sie ist besetzt. Aber ich weiß nicht, woran man das eigentlich erkennen soll außer an den Transparenten, die das mal so einfach behaupten. Auch das Transparent mit der Aufschrift „Wir sind gekommen, um zu bleiben“ gibt mir Rätsel auf. Wer will hier denn schon bleiben? Na gut, ich könnte mich auch fragen, warum ich gekommen bin. Aber da bin ich fein raus, denn ich bin wegen Toni Negri hier, der vor den Studenten eine Rede halten soll.
Ich dachte, er wäre umringt von Menschen, denn schließlich ist er eine Berühmtheit, eine Ikone. Aber er steht fast ein wenig verloren herum, und ich kann ihm sogar die Hand geben. Aber dann fällt mir nix mehr ein. Jemand holt ihm ein Glas Wein, und ich überlege, ob ich ihn warnen sollte, denn wenn etwas Kopfschmerz macht, dann studentischer Wein. Aber da hat er das Glas schon ausgetrunken. Langsam wabert die Masse auf den Hegelplatz, und jemand erklärt Negri, dass das jetzt ein bisschen illegal sei, weil die Kundgebung nicht angemeldet sei. Ein Vorredner bezeichnet die Besetzung dann als „dramatischen Schritt“. Obwohl jede Menge Wannen in der Gegend stehen, dramatisch sieht das jetzt nicht gerade aus.
Dann endlich wird Toni Negri angekündigt, der „ja auch ein alter Hase im Geschäft“ sei. Wieso „auch“? Und was für ein Geschäft? Der „alte Hase“ legt die Ohren an und los, anfänglich etwas verhalten, aber dann zunehmend mit Emphase. Danach werden Maschinenpistolen an die Masse verteilt, um im Adlon ein paar Entscheidungsträger zu entführen, die sich dort Gedanken über die Zukunft des Landes machen.
Mit Negri mache ich mich aus dem Staub. Für solche Sachen sind wir zu alt. Ich bin froh, dass ich zu alt bin, auch wenn die MPs aus Pappe sind. KLAUS BITTERMANN