U-Bahnsperrung: Getümmel im Tunnel
Wegen der Bauarbeiten für einen neuen Bahnhof ist die U6 bis Oktober 2013 unterbrochen, der Tunnel wird abgerissen. Am Sonntag durften alle noch mal rein.
Der Untergrund ist massentauglich: In Reih und Glied stehen am Sonntag hunderte Menschen in der Warteschlange, die sich entlang der Friedrichstraße bis zum Schiffbauerdamm zieht. Flankiert werden sie von einer Armada gelber Luftballons, auf denen in schwarzer Schrift „Tunneltag U6“ zu lesen ist. Alle, die hier so geduldig warten, wollen unter die Erde. Noch nicht für immer – nur um den kleinen Tunnelabschnitt der U6 zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Französische Straße zu bestaunen. Der ist seit dem heutigen Montag wegen der Arbeiten am künftigen U5-Kreuzungsbahnhof stillgelegt.
Die erste Besuchergruppe wird von Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), persönlich zu diesem „historischen Ereignis“ willkommen geheißen. „Als ich mir zur Vorbereitung durchgelesen habe, was hier alles gemacht werden muss: Unvorstellbar!“, strahlt Nikutta. Der Tunnelabschnitt werde erst eingerissen, um danach eine bis zu 40 Meter tiefe Grube auszuheben. Gegen einbrechendes Grundwasser wird der Boden vereist, um anschließend Seitenwände aus Stahlbeton hineinzubauen. Bauleiter Jörg Seegers, der bei der Begehung assistiert, gibt den Tunnelfans noch einen Rat mit auf den etwa 500 Meter langen Weg: „Gehen Sie vorsichtig!“
Staunend schiebt sich die Menschenmenge durch den Tunnel, immer darauf bedacht, keine der Schwellen zwischen den Gleisen zu verfehlen. Nur auf manchen Abschnitten gibt es einen breiteren Holzbalken, auf dem es sich angstfrei laufen lässt. Hier und da gibt sich ein vermeintlicher Experte zu erkennen: „Müsste hier nicht der Verbindungstunnel der U2 verlaufen?“, fragt ein älterer Herr. „Ne, det is’n Stück südlicher“, berlinert ein anderer fachmännisch zurück.
Auf der gesamten Strecke ziehen sich Kabel an der Wand entlang. In Gelb, Rot, Grün und Schwarz liegen sie übereinander, jede Farbe steht für eine andere Spannungsstärke. „Achtung Lebensgefahr“ warnt ein Schild. Der Strom für den U-Bahnbetrieb sei jedoch abgeschaltet, versichert ein BVG-Mitarbeiter. Leichte Hektik kommt unter den Wanderern auf, als das Rattern eines Zuges zu vernehmen ist. Die vermeintlich Gefahr bleibt jedoch in der Ferne. Es kann weitergehen.
Von Weitem schon ist ein blaues Neonlicht zu erkennen gewesen. Bald zeigt sich eine kleine Bühne. BVG-Chefin Nikutta scheint trotzdem etwas die Orientierung verloren zu haben: „Wo sind wir genau?“, raunt sie einem Mitarbeiter ins Ohr. „Hier wird der Bahnhof Unter den Linden enstehen“, erklärt sie nach erfolgreichem Briefing dem heil angekommenen Publikum.
Ein Film wird von der Bühne aus an die Tunnelwand projiziert und haucht einem digitalen U-Bahnfahrer namens Paul Leben ein. „Na, Sie auch alle hier unter der Friedrichstraße?“, fragt er mit berlinerischem Charme, um kurz darauf er mit seinen Händen die virtuellen Mauern einzuschlagen. Zum Vorschein kommt der neue Bahnhof in seiner vollen Pracht. „Das ist ja total lustig“, kichert eine Frau über die Szene, die der Sendung mit der Maus entliehen scheint.
Trommelwirbel empfängt die Tunnelläufer im U-Bahnhof Französische Straße, der nur noch einen Katzensprung entfernt ist. Hier bekommt jeder Teilnehmer einen Tunnelpass verliehen, dann heißt es: Aufsteigen bitte. Das war’s. Von nun an ist die unterirdirsche Strecke wieder tabu, gelaufen werden darf oben.
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