Türkei: Banger Blick in Richtung Militär
AKP-Vize Gül will sich doch noch zum Staatspräsidenten wählen lassen. Das Militär kann das nur noch mit einem Staatsstreich verhindern. Das ist wenig wahrscheinlich.
ISTANBUL taz Seit gestern richtet sich die Aufmerksamkeit der politischen Beobachter in der Türkei wieder verstärkt in Richtung Generalstab. Wird das Militär es hinnehmen, wenn nun, nach dem unerwartet hohen Wahlsieg der islamisch grundierten AKP, deren Vizechef und amtierender Außenminister Abdullah Gül erneut für das Amt des Staatspräsidenten antritt?
Mitte der Woche kündigte Gül an, er könne nach dem Wahlsieg seine Kandidatur nicht so einfach zurückziehen. Seine Wähler erwarteten viel mehr, dass er dabei bleibe. Das hörte sich zunächst noch zurückhaltend an, erhielt aber einen neuen Schub, als Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan volles Verständnis für Güls Haltung bekundete und vor allem, nachdem Devlet Bahceli, Chef der rechtsradikalen MHP in einem Interview ankündigte, seine Partei werde im neuen Parlament die Wahl des Präsidenten nicht boykottieren.
Das ist entscheidend, weil das Verfassungsgericht im Mai der Opposition mit ihrem Antrag Recht gegeben hatte, dass zur Wahl des Staatspräsidenten zwar im dritten Durchgang eine absolute Mehrheit genügt. Damit die Wahl aber gültig ist, müssen mindestens zwei Drittel aller Abgeordneten anwesend sein. Nachdem Bahceli die Anwesenheit seiner 70 Abgeordneten verkündet hat, dürfte die Wahl Güls nicht mehr an Verfahrensfragen scheitern. Der Streit über die Kandidatur Güls und die Blockade der Opposition hatte dazu geführt, dass die Parlamentswahl von August auf Juli vorgezogen wurde.
Die durch die Parlamentswahl angeschlagene kemalistische CHP allein wird Gül nun auch nicht mehr aufhalten können, bleibt also nur noch das Militär.
Seit der Wahl schweigt der vorher so massiv aufgetretene Generalstabschef Yasar Büyükanit. Fast alle Kommentatoren in den türkischen Medien sind sich einig, dass das wohl auch so bleiben wird. "Das Militär", schreibt der einflussreiche Kolumnist Mehmet Ali Birand, "wird sich nicht gegen den Willen des Volkes stellen. Die Türkei ist nicht Lateinamerika".
Tatsächlich bleibt dem Militär in der Türkei auch wenig Spielraum. Selbst wenn es nun noch einmal mit massivem Druck die Wahl Güls verhindern wollten, wird der dann im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit in direkter Wahl gewählt werden. Die Alternative wäre nur ein echter Staatsstreich und die Einsetzung einer Militärjunta. Dafür gibt es aber weder die innen- noch außenpolitischen Voraussetzungen.
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