piwik no script img

Türkei im Kampf gegen die PKKKonfliktzone Nordirak

Was will Ankara? Was die PKK? Was droht für die Region? Fragen und Antworten zur möglichen türkischen Invasion

Bei Türken und Kurden kochen die Emotionen hoch - auch in Deutschland. Bild: dpa

Was will die türkische Armee im Nordirak?

Eskalation mit Ansage: Türkei und PKK

Seit dem Frühjahr 2007 hat die kurdisch-türkische PKK ihre Angriffe auf Ziele in der Türkei systematisch eskaliert. Die türkische Militärführung forderte deshalb im April von der Regierung grünes Licht für einen Einmarsch im Nordirak. Das Thema spielte im türkischen Wahlkampf eine wichtige Rolle und schien im Juli, nach der Wiederwahl Tayyip Erdogans zum Ministerpräsidenten erledigt. Mit zwei großen Offensiven, bei der 13 bzw. 12 Soldaten getötet und etliche verletzt wurden, schaffte es die PKK aber, sich an die Spitze der politischen Agenda zurückzubomben. Erdogan holte sich vor drei Wochen vom Parlament die Ermächtigung, eine Intervention im Nordirak anzuordnen. Seitdem wird in Verhandlungen mit der irakischen Regierung und den USA ein Weg gesucht, die PKK auszuschalten, ohne dass das türkische Militär im Nachbarland einmarschiert. Gestern Abend fand dazu ein Gipfelgespräch zwischen Tayyip Erdogan und George Bush in Washington statt. JG

Sie will mit heftiger Bombardierung aus der Luft und gezielten Operationen von Spezialteams ("Red Barrets") die Stellungen der PKK im Nordirak zerstören und die PKK-Führer zur Flucht zwingen. Zweitens will sie den Kurdenführer Masud Barsani demoralisieren, damit er seine Unterstützung für eine eventuelle Ausweitung des "Kurdenstaates" in türkische Gebiete aufgibt. Und drittens will sie die irakisch-türkische Grenze auf lange Sicht unter Kontrolle bringen. Eine Pufferzone könnte das endgültige Ziel sein.

Wer ist eigentlich im Fall eines türkischen Einmarsches für die Verteidigung des irakischen Territoriums zuständig? Würden Sie sich tatsächlich gegen die türkische Armee stellen?

Für die Sicherung der Grenzen ist die Regierung in Bagdad zuständig, die innere Sicherheit von Kurdistan obliegt gemäß der heutigen Verfassung jedoch der kurdischen Regionalregierung. Teile der kurdischen Peschmerga-Truppen unterstehen dem irakischen Verteidigungsministerium. Ihre Weisungen erhalten sie freilich von den beiden Regierungsparteien in Kurdistan. Sollte die türkische Armee einmarschieren, ist Regionalpräsident Masud Barsani entschlossen, einen solchen Angriff militärisch abzuwehren. In diesem Fall könnte aus dem Krieg zwischen der Türkei und der PKK leicht ein türkisch-kurdischer Krieg werden.

Wie würde sich ein türkischer Einmarsch auf das Verhältnis zwischen den USA und den irakischen Kurden auswirken?

Die Kurden haben sich trotz allen historischen Misstrauens als treue Verbündete der Amerikaner bewiesen. Eingezwängt zwischen Nachbarn, die ihre neue politische Macht mit Argwohn beobachten, wissen sie, dass sie ohne die USA auf verlorenem Posten stünden. Deshalb werden sie nicht so weit gehen, diese strategische Partnerschaft, wie man es in Kurdistan nennt, zu riskieren.

Wie würde sich ein Einmarsch auf den Rest des Irak auswirken?

Das hängt von Art und Umfang des Einmarsches ab. Begrenzte Angriffe auf PKK-Stellungen, von denen irakische Kurden sagen, sie lägen außerhalb ihres Zugriffs, blieben wie in der Vergangenheit wohl folgenlos. Eine türkische Großinvasion hingegen hätte unabsehbare Folgen nicht nur für den Irak, sondern die gesamte Region. Sie würde das einzig relativ friedliche Gebiet des Landes destabilisieren und damit sunnitischen Extremisten ein neues Einfallstor öffnen und somit die ethnische und religiöse Gewalt erneut anheizen. Das könnte wiederum andere Nachbarländer auf den Plan rufen, sich auf der einen oder anderen Seite in den Konflikt einzuschalten. Dies wäre wohl das Ende der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad, was wiederum die komplizierte Machtbalance zwischen Barsani und seinem ehemaligen Kontrahenten, dem heutigen Staatspräsidenten Jalal Talabani, infrage stellen würde.

Die PKK scheint es darauf anzulegen, dass die türkische Armee in den Nordirak einmarschiert. Was will die PKK eigentlich damit erreichen?

Die PKK wollte offenbar die türkische Armee zu einem aggressiven Rückschlag im Nordirak provozieren. Zusammenstöße mit Barsanis Peschmerga-Kämpfern, womöglich auch mit amerikanischen Besatzungstruppen hätten die Türkei international bedrängt und der Kurdensache Gehör verschafft. Die PKK will zugleich die Umorientierung ihrer Basis nach Ankara stoppen und die Kurden wieder an das Ziel eines "freien Kurdistans" erinnern. Bei den letzten türkischen Parlamentswahlen am 22. Juli verlor die der PKK nahestehende, legale kurdische Partei DTP immens an Stimmen. Die regierenden moderaten Islamisten ziehen immer mehr kurdische Wähler auf ihre Seite, weil sie sich von der PKK nichts mehr erhoffen. Ministerpräsident Tayyip Erdogans Partei, die AKP, hat gute Chancen, bei den Kommunalwahlen 2008 sogar die Metropole Diyarbakir zu "erobern".

Seit den Wahlen vom Juli sitzt die kurdische DTP im Parlament. Was für eine Rolle spielt sie bei dem Konflikt?

Eine viel zu schwache Rolle. Die DTP kann sich nicht von der Gewalt der PKK distanzieren, um auf ziviler parlamentarischer Ebene voranzukommen. Insofern könnte ein türkischer Militärsieg über der PKK, und sei er nur zeitweilig, auf die gewaltfreien Kurden befreiend wirken. Ohne eine deutliche Absage an Gewalt wird die DTP unglaubwürdig - auch für die türkische Linke. Sie macht sich angreifbar. Wenn sie wirklich im türkischen Parlament ankommt, kann sie um mehr demokratische Rechte für die Kurden in der Türkei kämpfen und Verbündete unter den türkischen Demokraten finden.

Wie wirkt sich der Konflikt in den türkischen Großstädten, in denen inzwischen viele Kurden leben, aus?

Die PKK tötete kürzlich nahezu 40 türkische Soldaten. Das putscht den Nationalismus auf der türkischen Seite enorm auf und macht die Massen für Provokationen offen. Ultranationalisten greifen DTP-Büros an, und es kommt vereinzelt zu Übergriffen auf Kurden. Da diese aufs ganze Land zerstreut leben, könnte ein Funke einen Flächenbrand auslösen. Die Türken haben aber große Angst davor, zu einem zweiten Jugoslawien zu werden. Auch die Mehrheit der Kurden hat die Gewaltspirale satt. Ein ethnischer Bürgerkrieg ist für die große Mehrheit ein Horrorszenario.

Noch vor ein paar Monaten schien die Türkei zerrissen zwischen Kemalisten/Laizisten und AKP/Islamisten. Ist dieser Bruch jetzt vergessen, weil sich die Nation wie "ein Leib" formiert, wie die Hürriyet jüngst titelte?

Ja. Der bevorstehende Militäreinsatz gegen die PKK überlagert im Moment alle anderen Konflikte. Die Islamisten stellten sich voll und ganz hinter die Armee. So entsteht ein nationales Bündnis, dessen innere Widersprüche verwischt werden. Sogar die türkische Linke, die sich aus Friedensgründen gegen den kriegerischen Einsatz im Nordirak ausspricht, scheint innerlich das mögliche Ende der PKK herbeizusehnen.

Ministerpräsident Erdogan schien einen Einmarsch vermeiden zu wollen. Warum änderte er seine Meinung?

Erdogan befürchtete einen Prestigegewinn der Armee auf seine Kosten. Indem er sich nun selbst als Hardliner inszenierte, riss er das Ruder wieder an sich. Er schmiedet zugleich als Vertreter der neuen muslimischen Bourgeoisie eine historische Allianz mit der kemalistischen Armee für die nationalen Interessen. Das ist konsequent, denn Erdogan und die AKP stimmen hinsichtlich der Lösung der Kurdenfrage mit den maßgeblichen Kräften im Land, der Armee und den Arbeitgebern, überein. Sie wollen die Teilung des Landes verhindern, zugleich mehr Rechte für Kurden, mehr Investitionen und Arbeitsplätze im Kurdengebiet und die Förderung der Idee einer multikulturellen Türkei. Damit gewinnt Erdogan Stimmen.

Die PKK kämpfte einst für einen unabhängigen kurdischen Staat. Nach der Verhaftung von Abdullah Öcalan 1999 rückte sie zeitweilig von dieser Forderung ab. Wofür kämpft sie eigentlich heute?

Nach Öcalans Verurteilung brauchte die PKK offenbar lange Jahre für eine neue Strategie. "Ohne Öcalan keine Lösung der Kurdenfrage" wurde zuerst zu ihrem Motto. Öcalan entwarf aber im Gefängnis immer neue Modelle einer "demokratischen Türkei", die er aber kaum mit konkretem Inhalt füllte. Es herrschte lange Zeit Chaos in den Zielen. Nach der US-Invasion rückte jedoch ein kurdischer Staat im Nahen Osten so nahe wie noch nie. Zeitgleich begannen immer mehr PKKler an der Redefreiheit Öcalans im Gefängnis zu zweifeln. Nach Ansicht von PKK-Kennern wie Ümit Firat üben heute vor allem junge PKKler Druck auf die alten Kadern aus.

Wie viele PKK-Kämpfer befinden sich eigentlich im Irak? Und wo sind sie?

Die Stützpunkte der PKK-Rebellen finden sich in der zerklüfteten Bergwelt entlang der rund 350 Kilometer langen irakisch-türkischen Grenze. Das Hauptquartier ist vermutlich weiterhin in den Kandilbergen an der iranisch-irakischen Grenze. Wie viele PKK-Kämpfer sich noch im Irak aufhalten, ist unklar - die Schätzungen reichen von einigen hundert bis mehrere tausend. Die PKK selbst gibt darüber keine Auskunft.

Warum konnte die PKK ihre Stützpunkte im autonomen Nordirak aufrechterhalten?

Die PKK hat seit 1982 Basen im Nordirak. Diese baute sie in den 1990er-Jahren aus, nachdem die irakischen Kurden weitgehende Autonomie errangen. Nach der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan und der Waffenstillstandserklärung der PKK überließen Iraks Kurden der PKK ihre heutigen Rückzugsgebiete im Nordirak. Zugleich kam es zum Friedensschluss zwischen der PKK und den beiden großen kurdischen Parteien im Nordirak, die in den 90er-Jahren in wechselnden Allianzen in einen Bürgerkrieg verwickelt waren. Keine der Konfliktparteien hat heute ein Interesse an einem erneuten kurdischen Bürgerkrieg, der den kurdischen Teilstaat im Nordirak gefährden könnte. Iraks Kurden glauben, Ankara benutze die PKK als Druckmittel, um ihre Autonomie auszuhebeln. Umgekehrt glauben Beobachter, Iraks Kurden wollen die PKK als Trumpfkarte gegen die Türkei im Streit um den Status der Erdölstadt Kirkuk einsetzen - die Türkei lehnt die Eingliederung von Kirkuk in den kurdischen Teilstaat ab.

INGA ROGG / ADRIENNE WOLTERSDORF / DILEK ZAPTCIOGLU

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!