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■ Türkei: Knastrevolten sind Teil der Politik gegen das MilitärInnere Kriegsführung

Gefängnisrevolten haben in der Türkei Tradition. Das hat nicht nur mit der oft katastrophalen Unterbringung, schlechtem Essen und despotischen Gefängnisregimen zu tun. Es ist häufig die Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln.

Anders als in Deutschland, wo RAF-Gefangene sich für die Forderung nach Zusammenlegung in interaktionsfähigen Gruppen zu Tode hungerten, hat der türkische Staat keine Bedenken, politische Gefangene auch in großer Zahl gemeinsam in einen Knast zu stecken. Diese Knäste für politische Gefangene ähneln oft Umerziehungslagern, die Gefangenen dienen dem Staat als Geiseln gegenüber den militanten Kämpfern draußen. Dieses Schema gilt sowohl für die Gefangenen der kurdischen PKK als auch für die Häftlinge, die zu türkischen linken Gruppen wie Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) gehören. Da der türkische Staat den Krieg in den kurdischen Gebieten unvermindert fortsetzt, ist der Druck auf die Geiseln in den Gefängnissen entsprechend hoch. Obwohl der Auslöser am vergangenen Donnerstag im Knast in Istanbul letztlich wohl eine Lapalie war, genügte es, einen Aufstand auszulösen, der mittlerweile landesweite Dimensionen angenommen hat.

Jetzt, wo es um die Auslösung der von den Gefangenen festgehaltenen Justizbeamten geht, sind plötzlich auch Menschenrechtsgruppen gefragt. Die Forderung nach Bestrafung der Verantwortlichen für die drei toten Gefangenen im Knast von Umraniye ist sicher richtig und würde wohl auch die Gemüter vorübergehend beruhigen. Das grundsätzliche Übel aber bleibt. Die Situation in den Gefängnissen ist Ausdruck der inneren Kriegsführung der türkischen Regierung.

Zur Zeit wird in Ankara über eine neue Koalition verhandelt, das Parlament trat im Anschluß an die Wahlen Ende Dezember des vorigen Jahres gestern erstmals wieder zusammen. Insofern fehlt der Gefängnisrevolte im Moment der richtige Adressat. Das Wahlergebnis macht jedoch wenig Hoffnung auf eine zukünftige türkische Regierung, die willens und in der Lage wäre, das Land wirklich zu befrieden. Die Knäste für politische Gefangene sind Bestandteil eines Systems, das sich entscheidend auf das Militär und die Polizei stützt. Erst wenn sich die türkische Zivilgesellschaft durchsetzt und der Krieg beendet wird, werden sich auch die Gefängnisse ändern. Deshalb wird dies nicht die letzte Knastrevolte bleiben. Jürgen Gottschlich

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