Truman Capote etc. : Sexy Reality
Seltsamerweise hat das literarische Amerika den 20. Todestag von Truman Capote sowie seinen 80. Geburtstag im vergangenen Jahr verschlafen. Erst mit einem Jahr Verspätung besinnen sich die Feuilletonisten derzeit des Exzentrikers, dessen Ruhm sich auf so widersprüchliche Werke stützt wie die Schnulze „Frühstück bei Tiffany’s“ und „Kaltblütig“, die Reportage über einen grausamen Mord an einer Familie in einer Kleinstadt in Kansas.
Die Zeitverzögerung ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass erst in diesem Frühjahr die Modern Library drei neue Bände mit Briefen und Erzählungen Capotes in die Buchläden gebracht hat und dass erst jetzt, zu Capotes 81. Geburtstag, ein Hollywoodfilm über das Leben des New Yorker Dandys in die amerikanischen Kinos kommt. Vielleicht liegt die Verspätung aber auch ein wenig daran, dass eine Diskussion über die Bedeutung von Capotes Werk derzeit so gut in die publizistische Landschaft passt.
Gerade erst haben die Freunde Hunter S. Thompsons seine Asche in den Himmel über Colorado geschossen. Vorangegangen war ein ausgiebiges Lamento besonders in der linken Presse, dass es Reporter von Thompsons Schlag nicht mehr gebe – solche nämlich, die den Mut zur Subjektivität haben, die sich, wie weiland Gonzo im Wahlkampf Richard Nixons, nicht hinter falscher Ausgewogenheit verstecken, sondern laut sagen, was offenkundig faul ist. Ohne Truman Capote hätte es jedoch gewiss weder Hunter S. Thompson noch Norman Mailer, noch Tom Wolfe gegeben. „Kaltblütig“ begründete das Genre der literarischen Reportage und verwischte somit gründlich die Grenzen zwischen Journalismus und Literatur. Heute weiß man indes, dass Capote nicht selten gänzlich in das Reich der Fiktion abrutschte. Völlig erfunden ist etwa der Schluss, bei dem der Polizist, der den Fall gelöst hatte, Jahre später am Grab der Mordopfer eine Freundin eines der Opfer trifft.
Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum in der jetzigen Würdigung ein gewisser Zynismus gegenüber „Kaltblütig“ mitschwingt. „Das Buch bringt das Klischee perfekten amerikanischen Familienlebens gegen Horrorklischees in Stellung, die wir etwa von Filmen wie ,Halloween‘ und ,Freitag, der 13.‘ kennen“, schreibt zum Beispiel der Schriftsteller Gary Indiana in der Los Angeles Times. „Es ist mehr Camp als Literatur“ – Beispiel jener Ästhetik also, die sich in vollem Bewusstsein an besonders krassen Klischees delektiert.
Capote war ein ausgefuchster Pionier in der Herstellung der Wahrhaftigkeit als Effekt, ebenso kunstvoll wie skrupellos in der Behandlung seiner Quellen. Und er war ein früher Postmoderner – Journalismus ist unter seiner Hand zu einem literarischen Genre unter anderen geworden. Die Genreregeln, das begreift man seit Capote, sichern jedoch kaum einen privilegierten Zugriff auf die Wahrheit. Allerdings steigern sie den Unterhaltungswert immens – kaum etwas ist so sexy wie reality. SEBASTIAN MOLL