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■ Trotz Niederlage der deutschen Elf: Reizklima in ItalienSchicksal einer Strandburg

Terracina (taz) – Familie Bergschneider aus Starnberg am See, derzeit urlaubend in San Felice Circeo, überlegte schon eine verfrühte Abreise; Familie Börgers aus Alpen bei Xanten, ebenfalls auf Badeurlaub am Mittelmeer, erwog zumindest „den Wagen in Sicherheit zu bringen“; Schorsch Andernach, muskelbewehrter Schwimmcrack und Bademeister in Rimini, hatte sich „für alle Fälle mal“ ein paar kräftige Zaunlatten zurechtgelegt, und selbst der aus ganzem Herzen grün-friedensbewegte Arno Rebmann aus Gunzenhausen hatte sich im Supermarkt „Orizzonte“ eine kleine Steinschleuder gekauft und ein paar Stahlmuttern gesammelt: „Man kann ja nie wissen, bei dem aufgeheizten Klima“: So jedenfalls war der Stand der Dinge bis Sonntag abend, als alle Welt von einer Begegnung Italia–Germania bei der Fußball-WM ausging und so mancher ansonsten unerschrockene Teutone doch ein leichtes Schlappern im Solarplexus bekam, angesichts all der wilden Sprünge, Flüche und Drohgebärden gegen den Fernsehschirm, die die Tifosi in all den unvermeidlich mit TV- Maxischirm ausgestatteten Espresso-Bars und Strandetablissements aufführten. „Das gibt Mord und Totschlag, ganz gleich, wer gewinnt“, prophezeite der Polizeiwachtmeister Reiner Frühgesam, erfahren im – meist mißlungenen – Versuch zur Schlichtung von Fan- Rangeleien vor deutschen Stadien, auch er in Terracina urlaubend und unentschieden, ob der „da nicht einfach die Fliege machen soll – denn wenn's losgeht, juckt's einen natürlich doch, mitzumischen“.

Wie dem auch sei – plötzlich, am Sonntag abend war sowieso alles Makulatur, was man an Vorsichtsmaßnahmen aufgebaut hatte. Deutschland draußen, kein Derby der unendlichen Geschichte zwischen den Mannen nord- und südwärts der Alpen, keine Neuauflage des uralten Kampfes Marke Teutoburger Wald „Als die Römer frech geworden“, und auch keine voller Inbrunst gesungene antigermanische Partisanencanzone à la „Ciao bella ciao“. Eigentlich kann der Nordmensch nun frohen Herzens „Fratelli d'Italia“ mitsingen, wenn die Azzurri im Stadion einlaufen, und sich ohne Probleme einen ansaufen, weil Vogts Berti trotz Kohlscher Rückendeckung das Schwarz-Rot-Gold zum Trauerfähnlein hat verkommen lassen.

Nicht alle freilich sind wirklich zufrieden, daß sie zumindest die Sorge um den sauberen Lack ihrer Karosse und ums eigene Wohlergehen im möglichen Feindesland los sind. Manch einer hatte wirklich nicht übel Lust, den Kampf auf dem Rasen mit einem kleinen Boxerchen am Papagallo-Bauch fortzusetzen. Und mancher hatte auch voreilig bereits alles dichtgemacht – Karl Leineweber aus Köln zum Beispiel. Der jedenfalls könnte sich in den, na ja, beißen: In der sicheren Annahme, die Italiener würden – gleichgültig, ob nach dem Sieg über die Tedeschi im Taumel oder auch nach einer Niederlage aus Rachsucht – seinen zu Urlaubsbeginn in viertägiger Schweißarbeit in den Sand gebauten und täglich zwecks Konservierung liebevoll mit Wasser benetzten Kölner Dom verwüsten, hatte er ihn eigenhändig niedergetrampelt, denn „diesen Triumph gönne ich denen nicht“. Und nun steht er da, just wo die Einheimischen, nicht informiert über die Ängste des Nordmenschen, das Fernsehen mobilisiert hatten, das dieses eineinhalb Meter große Kunstwerk hatte aufnehmen wollen.

Da bleibt denn am Ende wirklich nur ein kräftiger Fluch auf die Bulgaren und das Schicksal – wenn man sich schon so aufs Schlimmste vorbereitet, soll's denn auch gefälligst eintreffen. Werner Raith

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