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Trotz Absage des Gipfels Bush-Gorbatschow:Eine Hand wäscht die andere

■ Nach dem Besuch des sowjetischen Außenministers Bessmertnych in Washington deutet sich an, daß man sich gegenseitig weiter freie Hand lassen will: Gorbatschow hält Bushs Anti-Irak-Allianz die Stange, und der schaut nicht so genau ins Baltikum.

Befänden wir uns noch im Kalten Krieg mit der Sowjetunion, könnten wir jetzt keinen heißen Krieg am Golf führen.“ Präzise brachte der sicherheitspolitische Experte Norman Blackwell die eigentliche Ursache für die Verschiebung der für den 11. bis 13. Februar geplanten Moskauer Begegnung zwischen den Präsidenten Gorbatschow und Bush auf den Punkt.

Als US-Außenminister Baker und sein neuer sowjetischer Amtskollege Bessmertnych wenige Stunden zuvor die Verschiebung, über die seit Wochen spekuliert wird, offiziell bekannt gaben, waren allerdings ausschließlich zwei andere Gründe zu hören: Schwierigkeiten bei der Fertigstellung des Rüstungskontrollabkommens START sowie die Tatsache, daß der Golfkrieg derzeit die ganze Aufmerksamkeit von George Bush erfordere und eine Abwesenheit aus Washington nicht erlaube.

In auffälligem Kontrast dazu steht, daß Baker nach eigenen Angaben über fünf Stunden mit Bessmertnych über die innenpolitische Situation in der Sowjetunion und dabei, so berichten Gesprächstleilnehmer, „fast ausschließlich“ über die Aktionen der Zentralregierung in den drei baltischen Republiken diskutierte.

Baker ließ auch bekannt werden, daß das Verlangen nach einer Verschiebung des Gipfels von US-Seite ausgegangen ist und von ihm bei seiner ersten Begegnung mit Bessmertnych am Samstag vorgetragen wurde. Auch die Information, wonach es der sowjetische Außenminister war, der auf die Verabredung drängte, den Gipfel nicht auf unbestimmte Zeit zu verschieben, sondern spätestens im Juni stattfinden zu lassen, und zwar in Moskau, wurde von amerikanischer Seite verbreitet.

Mit der Verschiebung des Gipfels sowie den gezielten Informationen über den Verlauf der Gespräche mit Bessmertnych hoffen Bush und Baker, zumindest für eine Zeitlang all diejenigen im Kongreß und den Medien ruhiggestellt zu haben, die ihnen vorwerfen, „das Schicksal der baltischen Republiken dem Erhalt der Koalition gegen Saddam Hussein unterzuordnen“. Zumindest was die Analyse dieses Zusammenhangs betrifft, sind sich in den USA fast sämtliche Kommentatoren, Analytiker und Sowjetexperten — ob Tauben oder Falken — einig: ohne die Notwendigkeit, Moskaus weitere Unterstützung für Washingtons Golfkriegspolitik zu sichern, hätte die Bush-Administration in der Frage der baltischen Republiken eine härtere Gangart gefahren.

Die Warnung des sowjetischen Außenministers zu Beginn der Gespräche vor einer „Politik, die auf die Zerstörung Iraks hinausläuft“, schien die Notwendigkeit dieses taktischen Verhaltens noch einmal zu unterstreichen. „Die USA und die UdSSR handeln zusammen und in Übereinstimmung mit der UNO-Resolution, um das gemeinsame Ziel der Vertreibung des Aggressors aus dem Land, das er besetzt hat, zu erreichen.“ Dieser Satz von Bessmertnych nach dem Gespräch mit Bush am Montag nachmittag scheint darauf hinzuweisen, daß das Kalkül des US-Präsidenten zumindest hinsichtlich der Haltung Moskaus im Golfkrieg zunächst mal aufgegangen ist.

Weniger gesichert scheint dies für die Heimatfront. Aus dem Kongreß wurde nach den einstimmigen Resolutionen der letzten Woche von Abgeordnetenhaus und Senat zur Verurteilung der Moskauer Regierung, weil sie militärische Gewalt in den baltischen Republiken eingesetzt hatte, der Druck auf Bush noch am Montag verstärkt — obwohl die Gipfelverschiebung bereits klar absehbar war. Der außenpolitische Ausschuß des Senats verschob die Zustimmung zu einem bilateralen Vertrag mit der UdSSR über die Grenzziehung in der Bering-Wasserstraße.

Trotz zum Teil deutlicher Kritik an den „unterschiedlichen moralischen Maßstäben“, mit denen Bush öffentlich Saddam Hussein einerseits und den Einsatz militärischer Gewalt im Baltikum andererseits beurteilt, bestärken die liberalen Kommentatoren und Sowjetexperten noch die Haltung des Präsidenten und seines Außenministers, die beide weiterhin auf Gorbatschow setzen. Für Konservative und Falken ist Bakers Bemerkung, Gorbatschow habe „lediglich zur Zeit mit einigen Problemen zu kämpfen“, allerdings unerträglich. Immer offener fordern sie eine grundsätzliche Kurskorrektur im Verhältnis zu Moskau.

Sven Kraemer, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates in den 80er Jahren und einer der Falken während der Raketenauseinandersetzung, forderte die Administration am Montag auf, „Gorbatschow sofort fallenzulassen und nur noch auf Boris Jelzin und die anderen Radikalreformer zu setzen“. Unter Verweis auf seine Äußerungen zu Beginn der Washingtoner Gespräche zählen Kraemer und Gleichgesinnte auch den neuen Außenminister Bessmertnych und verweisen darauf, daß dieser „ein Gromyko-Mann“ und „mitverantwortlich für die Entscheidung zur Invasion Afghanistans gewesen“ sei. So wird die Kritik an Bushs Fixierung auf eine militärische Lösung des Konflikts, die in einer früheren Phase des Konflikts ja durchaus auch von Bessmertnychs Vorgänger Schewardnadse zu hören gewesen war, als „Rückfall in die Außenpolitik der Vor-Gorbatschow-Epoche“ gebrandmarkt und damit tabuisiert.

Als Beleg für eine „grundsätzliche Kurskorrektur Moskaus“ werten die Falken auch die angeblich von Moskau verursachten „neuen Schwierigkeiten“ bei der Fertigstellung des START-Abkommens. Die Tatsache, daß US-START-Chefunterhändler Richard Burt gestern zurückgetreten ist, weil er über den „schleppenden Verlauf“ der Verhandlungen und den Vorgaben seiner eigenen Administration zunehmend frustriert war, spricht eher gegen diese These. In welche Widersprüche diejenigen Falken geraten, die sowohl die uneingeschränkte Unterstützung Moskaus für Washingtons Golfkriegspolitik verlangen und zugleich die These von einer grundsätzlichen Kurskorrektur der sowjetischen Außenpolitik vertreten, macht der eingangs zitierte Norman Blackwell deutlich: um vor „sowjetischen Überraschungen“ geschützt zu sein, forderte er die Wieder-Stationierung starker US-Truppenverbände in Westeuropa und damit nichts anderes als die Wiederbelebung des Kalten Krieges. Andreas Zumach, Washington

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