Trendsport Klettern: "Voll anstrengend"
Im Hamburger Schanzenviertel gehen an drei Nachmittagen pro Woche Erwachsene und Kinder die Wände hoch: Sie kommen zum Klettern.
Die Sonne wärmt den Nachmittag, aber im Park hinter der Roten Flora gehen schwarze Mützen immer. Goldene Ketten auch und Rastalocken. Ein Mädchen in pinkfarbener Strumpfhose kann schon aus der Flasche trinken, in einem Käfig spielen Jungs Fußball und im ganzen Park läuft der Wettbewerb um die coolste Sonnenbrille. Hinten, auf dem kleinen eingezäunten Spielplatz, stehen Vater und Sohn im Sand und gucken irgendwohin, der Sohn hält sich an der Jeans des Vaters fest, der hat die Hand auf dem Kopf des Kleinen. Kinderhinterköpfe und Vaterhände sind füreinander gemacht.
An der Fassade des Bunkers hängen Kinder an Seilen. Einige halten sich krampfhaft daran fest und werden ihrerseits vom Gurt gehalten, den sie umhaben – aber kann man dem trauen? Und den Erwachsenen? Einige sind auf dem Weg nach oben, Richtung Himmel, andere plärren, weil sie Hunger haben.
Der Bunker – für bis zu 700 Personen – wurde 1941 gebaut, wie so viele Bunker ein Ergebnis des „Bunkerbauprogramms“ vom Herbst 1940. Eine Menge Graffiti sind dran, und Griffe fürs Klettern: Fische, Muscheln, Spinnen, Vögel, alles ziemlich bunt. Und ein Reifen, auf halber Höhe – zum Ausruhen. Es gibt einen Kletterbereich für Erwachsene, da muss man eine Leiter hoch, und zwei für Kinder. Einen einfachen und einen ganz einfachen.
„Ich will auch mal“, sagt der Junge, so etwa fünf, zu dem Mädchen, etwa sechs, das sich vorsichtig abseilt und nun wieder sicheren Boden unter den Füßen hat. Die schüttelt den Kopf: „Nein.“ Der Junge mault: „Warum?“ Das Mädchen erklärt ihm: „Weil ich nicht will.“ Das Frauen-Männer-Ding fängt offenbar früh an, auch hier im Hamburger Schanzenviertel.
Maike sichert ihren Sohn. Maike ist zum ersten Mal in dieser Klettersaison hier, kommt sonst ein Mal pro Woche. Ihre Kinder, ein Junge, ein Mädchen, nennen solche Tage „Onkel-Felix-Klettern“: Weil Onkel Felix sie im Alter von zwei, drei Jahren mit hierher genommen hat. Onkel Felix und Maike sind im Verein „Kilimanschanzo“, der den Kletterturm im Flora-Park pflegt, die Ausrüstung stellt – Seile, Gurte, Helme – und Markus hierher geschickt hat. Der hat die Aufsicht.
Dienstags und mittwochs ab halb vier dürfen Mitglieder und ihre Kinder klettern, Sonntag Nachmittag darf jeder. Kostet nichts. Die Mitgliedschaft bei Kilimanschanzo beträgt 20 Euro im Jahr. Kommt am Dienstag oder Mittwoch ein Kind, das nicht Mitglied ist, guckt treuherzig, wie Kinder gucken, und will mal klettern, dann sagt Markus nicht Nein. Markus ist 34, Soziologe und der einzige Offizielle hier. Mamas und Papas sichern ihren Nachwuchs selbst, wer das nicht kann, dem wird geholfen.
„Voll anstrengend“, stöhnt Finn, sechs, der in der Wand hängt wie ein Schluck schales Bier. Unten steht Lenja, die „schon vier ist“, und vorher ein „ganz großes Stück“ oben war, aber jetzt Hunger hat. Ein paar Kinder schaukeln am Seil und lernen, die Beine auszustrecken, damit sie nicht gegen die Wand dotzen. „Ist auch schön“, sagt Finn, „schaukeln.“
Nun ist Mica dran. Das geht gut hoch. Aber dann: „Dein Helm sitzt nicht richtig“, sagt Maike, und da muss Mica wieder runter. „Blöder Helm“, sagt Mica. Finn hat einer anderen Mama den weißen Fahrradhelm gemopst, weil der aussieht wie ein Kletterhelm, und die sucht ihn jetzt, weil sie nach Hause will. Es dauert ein bisschen, bis sich das Kuddelmuddel auflöst.
So gegen zehn nach sechs holt Markus die Seile ein und die Kinder von der Wand. Reihenfolge umgekehrt. „Das ging heute noch“, sagt er. Etwa 15 Kinder waren da, „vergangene Woche war viel mehr los“. Ein Helm ist kaputt, wahrscheinlich der von Mica, der wird markiert, die Ausrüstung zusammengepackt und in den Container verfrachtet, der hier steht. Dabei heißt es aufpassen, dass kein Kind mit eingeschlossen wird.
Gegen halb sieben: Im Käfig wird gekickt, zwei Kinder bewerfen sich lachend mit Sand, ein Erwachsener mit teurem Handy lässt sich die Sonne auf die Fußsohlen scheinen, einer sucht am Container, gegen den wir uns gelehnt haben, nach dem, was er dem Typ versprochen hat, mit dem er gerade telefoniert. Vom anderen Ende des Flora-Parks zieht eine süßliche Rauchschwade rüber. Wir erkennen den Geruch, obwohl das lange her ist.
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