Trend Cosplay: Intimbereich bedecken
Weltflucht, Sex, Kinderquatsch? Cosplayer verkleiden sich wie Figuren aus japanischen Manga-Comics. Lebende Tiere und Waffen sind verboten.
BERLIN taz | Am liebsten posieren sie in Parks, in voller Montur, ausgerüstet mit Perücken, Kostümen und Fotokamera: Anastasia Hock und Nadin Maselowski aus Berlin treffen sich im Japanischen Garten oder im Schlosspark Sanssouci, sie fotografieren sich vor Kirschblüten, auf geschwungenen Schlosstreppen. Machmal spaziert ein HipHopper vorbei und ruft in geografisch-verbaler Verwirrung: "Tsching tschang tschong!" Allerdings: Sich selber fotografieren die jungen Frauen eigentlich gar nicht. Sie lichten den Grafen Ciel Phantomhive ab, den Level-E-Vampir Zero Kiriyuu oder Konan, die Kämpferin im Kimono - je nachdem, welchen Manga-Charakter sie gerade cosplayen.
"Cosplay? Das sind doch diese Perversen" – "Cosplay? Das ist doch dieser Kinderquatsch": Das sind die Standard-Vorurteile, mit denen Cosplayer leben.
In Japan nennt man es seit den neunziger Jahren "kosupure" oder "costume play" – also Verkleidungsspiel –, wenn sich Menschen wie eine Figur aus einem Manga kleiden und bewegen. In Deutschland frönen rund 5.000 junge Menschen diesem Hobby, davon sind siebzig Prozent Frauen. Das jedenfalls schätzt Peter Müller und der kennt sich aus. Müller ist ein rares Exemplar: Er ist männlich, 31 Jahre alt (das ist altersmäßig weit über dem Durchschnitt), Cosplayer - und vielleicht sogar ein Pionier. Schon 1995 verkleidete er sich als Tetsuo aus dem Manga des japanischen Zeichners Katsuhiro Otomo. Damals reiste er per Regionalzug in den Comicladen nach Mannheim. "Tierisch peinlich" sei das gewesen, sagt er rückblickend. "Wir kannten das Wort ,cosplay' gar nicht, es hieß einfach ,verkleiden'."
Heute ist der Schmuckdesigner maßgeblich daran beteiligt, dass Cosplay einem größeren Personenkreis bekannt ist. Seit 2007 organisiert er die Deutsche Cosplaymeisterschaft (DCM) auf der Frankfurter Buchmesse. "Es hat mich genervt, dass bei frühen Wettbewerben das süßeste Mädchen gewann und Männer keine Chance hatten", sagt er. Darum verfasste Müller ein Regelwerk, um für Transparenz und Professionalität zu sorgen. "Po, Busen und Intimbereich müssen ausreichend bedeckt sein", steht darin, und: "Unsittliches Verhalten führt zur Disqualifikation." Lebende Tiere und echte Waffen sind verboten.
Tiere? Waffen? Wer einmal auf einer Cosplay-Convention war, weiß, mit wie viel Aufwand dieses Hobby von seinen Anhängern betrieben wird. Im Extremfall stecken bis zu 1.000 Euro Materialkosten und über 300 Arbeitsstunden in den detaillierten Kostümen. Während im Cosplay-Mutterland Japan komplette Kostüme verkauft werden, herrscht in Deutschland der Ethos des Do-it-yourself: "Ein selbstgenähtes Kostüm hat mehr Wert", sagt Anastasia, "es sieht besser aus, sitzt besser."
Im Japan-Shop in Berlin-Steglitz nuckeln Anastasia und Nadin an einer süßen Ramune-Limonade. Anastasia ist 19, sie war schon in der ersten Klasse Manga-Fan. Cosplayerin ist sie seit vier Jahren. Eine schwarze Stoffklappe bedeckt ihr rechtes Auge. Ciel Phantomhive, der Charakter, den sie darstellt, hat einen Pakt mit einem Dämon geschlossen, unter der Klappe trägt er dessen Zeichen auf dem Auge. "Es soll ja nicht gleich jeder sehen, dass er einen Faustus-Pakt eingegangen ist", erklärt sie. Anastasias erstes Kostüm fertigte ihre Oma, inzwischen näht sie selbst, für sich und ihre Cosplay-Freundinnen. Anastasia sucht sich Figuren aus, die ihr optisch gefallen, so wie den 13-jährigen Ciel aus dem Manga Kuroshitsuji, ein Waise aus dem viktorianischen England. Vielleicht wird ein Teil ihres Hobbys bald auch ihr Beruf: Sie will Modedesign studieren.
Der Ort: Die kleine Fußgängerbrücke an der Tokioter Bahnstation Harajuku wird sonntags zum Laufsteg für japanische Cosplayer. Hier wird geschminkt, gepost und fotografiert. In Deutschland verabreden sich Cosplayer über Foren wie animexx.de zu "Harajuku-Days".
Die Bücher: Seit Anfang der Nullerjahre stehen Mangas, japanische Comics, in deutschen Buchläden. Welche Charaktere gecosplayt werden, hängt davon ab, welche Mangas oder Computerspiele gerade populär sind. Waren es am Anfang Sailor Moon oder Dragon Ball, sind es heute die Serien Naruto oder Bleach und das Game Final Fantasy.
Die Meisterschaft: Das Finale der Deutschen Cosplay Meisterschaft (DCM) findet am 10. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse statt. Bewertet werden die Kostüme und eine zweiminütige Showeinlage der Teilnehmer.
Nadin wollte heute eigentlich als Ciels Dämon kommen, doch eine Freundin hat die Perücke verschnitten und so cosplayt die 18-Jährige als Zero Kiriyuu aus Vampire Knight, als cooler Vampirjunge mit Tätowierung am Hals. Demnächst beginnt sie eine Lehre als Kauffrau im Einzelhandel - da wird sie dann aber nicht verkleidet erscheinen. Sie will von ihren Eltern unabhängig sein und ihr Hobby finanzieren. Die beiden Mädchen treten oft als Paar auf, meist spielt Nadin den männlichen Part. "Ich kann mich da besser einfinden", sagt sie. Nadin ist eher ruhig, cool und es wundert nicht, dass sie diese Eigenschaften auch in den Cosplay-Figuren sucht. Trotzdem sagt sie, könne sie "die Leute nicht verstehen, die Cosplay mit dem echten Leben verwechseln".
Dafür fallen der Humor und die Selbstironie der Cosplayer auf: Müller lief mal als Kaktor herum - als überdimensionierter Kaktus aus dem Computerspiel Final Fantasy. Und Anastasia hat Lambo gecosplayt - eine "kleine nervige Kuh".
Bleibt das letzte Cosplay-Vorurteil: die jugendliche Weltflucht - Pubertierende, die aus ihrem seltsam wachsenden Körper heraus in andere Rollen schlüpfen. Peter Müller sieht das pragmatisch: "Am Anfang ist vielleicht noch die Identifikation wichtig, aber mit dem Alter wird das Handwerkliche wichtiger." Er jedenfalls will sich noch ein richtiges Großkostüm bauen, einen Roboter mit 30-Zentimeter-Plateau-Absätzen. Und auch Nadin zerstreut die Eskapismus-Theorie: "In der Schule haben mich andere manchmal Zecke oder Punk genannt, weil sie keine Ahnung von Manga haben. Aber ich bin einfach ich."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?