Tödliche Schüsse auf Studenten: Familie geht vor das Verfassungsgericht
Die Familie eines von der Polizei in Regensburg erschossenen Studenten hat Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie will, dass der Tod des Musikstudenten aufgeklärt wird.
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MÜNCHEN taz | Die Familie hat Geld gesammelt, um eine zweite Obduktion zu bezahlen, sie hat ihre Anwälte alle Rechtsmittel ausschöpfen lassen, um doch den Fall doch noch vor Gericht zu bringen. Erfolglos. Die Ermittler legten den Tod des Regensburger Musikstudenten Tennessee Eisenberg, der am 30. April 2009 von der Polizei erschossen wurde, trotz zahlreicher Ungereimtheiten zu den Akten.
Nachdem vor einem Monat das Oberlandesgericht Nürnberg ein von der Familie beantragtes Klageerzwingungsverfahren abgelehnt hat, unternehmen die Angehörigen nun einen letzten Versuch, die Umstände der tödlichen Schüsse aufzuklären. Sie ziehen vor das Bundesverfassungsgericht.
Diese Woche haben drei renommierte Anwälte im Auftrag der Familie Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Begründung der Juristen: Die Einstellung des Verfahrens verletzte die Grundrechte der Eltern auf effektiven Rechtsschutz und auf willkürfreie Rechtsanwendung. In der Regel haben Verfassungsbeschwerden nur eine recht geringe Erfolgsaussicht. Vergangenes Jahr waren laut offizieller Statistik nur 1,88 Prozent aller Beschwerden erfolgreich.
"Wir haben uns das Ganze nicht leicht gemacht", sagt Anwalt Jan Bockemühl, der zusammen mit seinen Kollegen Ricarda Lang und Till Günther die Beschwerde verfasst hat. "In diesem Fall haben wir begründete Hoffnung", so Bockemühl. "Wir denken, dass dieser Fall das Rechtsproblem dem Verfassungsgericht nahebringt."
Bockemühl und seine Kollegen greifen in ihrer Beschwerde die Ablehnung des Klageerzwingungsverfahrens durch das Oberlandesgericht an. Erst im September hat das Verfassungsgericht einer Beschwerde gegen ein abgelehntes Klageerzwingungsverfahren stattgegeben.
Die genauen Todesumstände des von Bekannten als höflich und friedlich beschriebenen Tennessee Eisenbergs bleiben bis heute im Dunkeln. Am 30. April 2009 ruft der Mitbewohner Eisenbergs die Polizei, Tennessee bedrohe ihn mit einem Messer. Als die Beamten eintreffen, reagiert Eisenberg nicht auf die Aufforderungen, das Messer fallen zu lassen.
Die Polizisten fühlen sich von Eisenberg angegriffen. Im Flur des Wohnhauses fallen 16 Schüsse, 12 treffen den 24-jährigen Musikstudenten. Eisenberg stirbt. Die Polizisten hätten aus Notwehr gehandelt, so die Richter des Oberlandesgerichts in ihrer Ablehnung, eine Verurteilung wäre unwahrscheinlich. Die Anwälte der Familie verwiesen erfolglos auf zahlreiche Widersprüche in den offiziellen Ermittlungsergebnissen, die an einer Notwehr zweifeln lassen.
In der Verfassungsbeschwerde konzentrieren sich Bockemühl und seine Kollegen vor allem auf eine Schwachstelle in der Begründung des Oberlandesgerichts: die Beschreibung des ersten Treffers. Das Gericht schreibt: Eisenberg sei von einer Kugel im Knie getroffen worden und daraufhin mit dem Messer in der Hand auf einen Polizisten zugegangen.
Die Anwälte sagen: Der Durchschuss im Knie habe die Statik von Eisenbergs Bein beeinträchtigen müssen, er hätte nach dem Treffer allenfalls humpeln können. Sie sagen: "Auch ein Irrer hätte auf einem kaputten Knie nicht so stehen und gehen können wie auf einem gesunden."
Das Klageerzwingungsverfahren soll solche Zweifel klären. Bis das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zu dem Fall trifft, könnte es Monate bis Jahre dauern. Sollte die Beschwerde erfolgreich sein, würde der Fall zurückverwiesen an das Oberlandesgericht in Nürnberg.
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