: Tod eines Kreuzritters
Der Dissident Alex Goldfarb präsentiert die Lebensgeschichte des ermordeten russischen Ex-Agenten und Regimekritikers Alexander Litwinenko als spannenden Polit-Thriller
VON KLAUS-HELGE DONATH
Der „Tod eines Dissidenten“ ist die Geschichte einer Metamorphose. Ihr Protagonist ist Alexander Litwinenko, ein ehemaliger KGB-Agent, der von einem „verängstigten Mitglied einer Mörderbande zu einem Kreuzritter wird, der für seine Überzeugungen einen qualvollen Tod sterben musste“. Der mysteriöse Tod des 44-jährigen Ex-Geheimdienstlers, der im Jahr 2000 nach London geflohen war, sorgte Ende letzten Jahres weltweit für Aufsehen. Nach wochenlangen Qualen erlag er einer Vergiftung durch radioaktives Polonium 210. Emissäre der russischen „Agentur“ müssen es ihm in den Tee gemischt haben.
Autor Alex Goldfarb gelingt es, die Lebensgeschichte des Agenten, deren Dokumentation die Weltöffentlichkeit wohl vor allem auf Moskauer Herrschaftspraktiken aufmerksam machen sollte, in einem fesselnden Thriller zu verpacken. Dabei stützt sich der Autor vor allem auf Erzählungen des Opfers und seiner Frau, Marina Litwinenko. Im Hintergrund wütet der Kampf um Macht und Geld. Schauplatz ist das Russland ab Mitte der 90er-Jahre. Freimütig räumt Goldfarb ein, dass sich viele seiner Annahmen einer genauen Prüfung entziehen.
Goldfarb ist kein gewöhnlicher Autor. Vor dreißig Jahren emigrierte der Sowjetdissident in die USA, wo er in Diensten des philanthropischen Finanzmagnaten George Soros steht. Über ihn gelangte er zur Stiftung des russischen Oligarchen Boris Beresowski. Der einstige Königsmacher überwarf sich mit Präsident Putin und hielt es 2000 ebenfalls für geraten, der Heimat den Rücken zu kehren und ins britische Exil zu gehen. Der Oligarch stand hoch in Litwinenkos Schuld.
„Sie kennen doch Beresowski? Dann werden Sie die Ehre haben, ihn aus dem Verkehr zu ziehen“, soll ein Vorgesetzter im Dezernat für Operationen gegen kriminelle Vereinigungen beim Inlandsgeheimdienst FSB im Frühjahr 1998 dem Agenten Litwinenko aufgetragen haben. „Es gibt kriminelle Elemente, die auf offiziellem Weg nicht unschädlich gemacht werden könnten, da sie sich vor Gericht jederzeit freikaufen können“, rechtfertigte der Vizechef der geheimen, inzwischen aufgelösten Abteilung der URPO das Komplott.
Für Litwinenko war dies das Schlüsselerlebnis: Er verließ den Dienst, ließ die Sache aber nicht auf sich beruhen. Im selben Jahr legte er auf einer Pressekonferenz die Praktiken der Verbrechensbekämpfer offen. Von nun an war er nicht nur ein in Ungnade gefallener Abtrünniger, sondern ein Verräter, der den Geheimbund-Kodex verletzt hatte. Darauf steht der Tod.
Auch im Londoner Exil gab er keine Ruhe und beschuldigte die ehemaligen FSB-Kollegen, im September 1999 in Moskau und Wolgodonsk Wohnhäuser in die Luft gesprengt zu haben. Der Kreml behauptete, die Terrorspur führe nach Tschetschenien. Handfeste Beweise fehlen bis heute. Dennoch nahm der Kreml die Tragödie zum Anlass, einen neuen Tschetschenienfeldzug zu führen.
Zu den Hintergründen des Giftmordes erfährt der Leser indes nicht viel Neues. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, es habe sich in London um Beresowski eine Art Exilregierung geschart. Das entspricht nicht der Wahrheit, auch wenn sich der Kreml auf das Spiel einlässt und Beresowski bei jeder Gelegenheit für alle Übel der Welt verantwortlich macht. So kolportiert die Staatsanwaltschaft in Moskau, Beresowski stehe hinter den Morden an Litwinenko und der regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja.
Tiefere Einblicke als das Buch liefern seit Anfang des Jahres mutige russische Journalisten. Die Zeitschrift The New Times – Nowoje Wremja (TNW) berichtete beispielsweise über die Verstrickungen des russischen Geheimdienstes FSB in das Mordkomplott. TNW beruft sich dabei auf Aussagen eines kürzlich pensionierten FSB-Offiziers. Demnach sei der Poloniummord von einer Gruppe um den Vizechef des Präsidialamtes, Igor Setschin, eingefädelt worden.
Setschin zählt zum Kreis der „Silowiki“, einflussreicher Vertreter der Sicherheitsministerien, die unter Putin in Schlüsselpositionen vorrückten. Um die Logistik des Attentats soll sich der Vizechef des FSB, Alexander Bortnikow, gekümmert haben. Dass Bortnikow die Vorbereitungstreffen für den Mord leitete, bestätigten TNW zwei weitere hochgestellte Informanten. Das Polonium soll aus dem streng geheimen Atomzentrum in Sarow stammen und über den Flughafen Moskau-Domodedowo außer Landes geschafft worden sein. Folglich ist Goldfarb davon überzeugt, dass die wahren Verantwortlichen noch viel weiter oben zu suchen sind.
Alexander Goldfarb/Marina Litwinenko: „Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste“. Deutsch von Violeta Topalova, Hoffmann und Campe, Köln 2007, 280 Seiten, 19,95 Euro