■ Tip: Unendlich müde
Ein dickes Stück Buttercremetorte. Auf dem Küchenschrank Eingemachtes, über dem Sofa biblische Szenen in üppigen Rahmen. Ein Nachmittag mit Goldrand. „Früher schlugen wir uns um den Platz in Tante Gretas Armen“, erinnert sich Joanna Helander. Heute gehört der warme Fleck zwischen Tantes Armen längst dem Nachbarsjungen.
Die Dokumentarfilmerin Joanna Helander ist auf der Suche nach Bausteinen ihrer Biographie. Vor 23 Jahren mußte die Polin ihr Land verlassen. Ein Plakat mit der Aufschrift „Hände weg von der Tschechoslowakei“ brachte die damalige Studentin 1968 ins Gefängnis. Danach emigrierte sie nach Schweden. „Uns gelang es herauszukommen, aber du mußtest sterben, wo du geboren wurdest“, heißt es in einem imaginären Dialog mit dem toten Vater. Ihm, dem Juden, der der Vernichtungsmaschinerie der Nazis entgehen konnte, nicht aber einer lebenslänglichen Angst, hat Helander ihren Film gewidmet.
„Joanna“ ist eine assoziative Reihung von meditativen, starren Einstellungen, die müde auf Wiesen, Bäumen und Fenstern ruhen, als würden sie auf etwas warten. Doch der Zufall findet nicht statt. Hier ist Polen ein Totenreich. Als Schutzengel der Erinnerungen hat die Autorin keine andere Botschaft im Handgepäck als den unverstellten Kinderblick. Greta und die Großmutter sterben während der Dreharbeiten. Übrig bleiben eine Mutter, die von der „grünen Ukraine“ singt, und ein Kaffeeklatsch mit Cousinen, die sich über die „Kirchenglocken-Titten“ der verschiedenen Omas amüsieren.
Der Untertitel des Films „Aterkomster“ ist schwedisch und bedeutet Wiederkehr. Im Film sind die Reisen nach Polen als Zyklus organisiert, in dem der immer wieder neu gesehene Ort zu einem Synonym für die Zeit schlechthin werden soll. Doch während Helander Stück für Stück die Schicksale ihrer Familienmitglieder ordnet, verlieren wir den Faden und haben nur noch ihre Bilder, die für sich genommen mal bestechend, mal bedrückend, manchmal auch nur hübsch sind. Nicht selten läuft der Film Gefahr, Tristesse als ästhetische Kategorie zu veredeln. Helander ist den eigenen Bildern verfallen, aber sie traut ihnen nicht.BIG
„Joanna“, heute, 22.30 Uhr, arte
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